nah, neugierig & Negroni

Friedl Wynants

#4: Wie lernen wir, Fakten von Fake-News zu unterscheiden? An der Bar mit Investigativ-Journalistin Lea Weinmann

24.04.2024 58 min

Video zur Episode

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Zusammenfassung & Show Notes

Mit mir an der Bar sitzt heute Lea Weinmann, Investigativ-Journalistin bei der Süddeutschen Zeitung. Sie entführt uns in die Welt der investigativen Recherche: Wir sprechen über die Vulkan Files, die Einblicke in die Strategien des russischen Cyberkriegs lieferten, erfahren, wie Lea recherchiert, weshalb wir alle falsch googeln und wie sie es zu unverhoffter Popularität bei Bohrmaschinen-KäuferInnen brachte.  

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Transkript

Also das allererste, was ich Leuten versuche beizubringen, ist richtig zu googeln tatsächlich. Also die Suchmaschinen richtig zu nutzen. Die meisten Leute öffnen ja ein Google-Fenster und geben einfach ein, nach was sie suchen, Süddeutsche Zeitung. Aber man kann Google sehr viel präziser sagen, wonach man sucht und dadurch sehr viel bessere Ergebnisse rausfiltern. Das war eine Person, die sich bei uns gemeldet hat, ein paar Tage nach Beginn des Krieges in der Ukraine. Und das war eine Person, die hat geschrieben, dass sie es nicht gut findet, was da gerade in der Ukraine passiert, dass sie deswegen entschlossen hat, Informationen mit uns zu teilen. War eine anonyme Nachricht, wir wissen also nicht, wer diese Person ist. Und dann hat diese Person uns sehr viele Dokumente geschickt und Unterlagen aus einer Firma in Russland, in Moskau, die Firma Vulkan. Wir hatten andere, die mit den Geheimdiensten, mit diversen Geheimdiensten in Kontakt getreten sind. Das stelle ich mir vor, bei Geheimdiensten, da dürfte eine große Neugier doch da sein. Ja, da ist eine große Neugier. Also in dem Fall ist das gut, weil dann wollen sie auch mit uns reden. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge "nah, neugierig & Negroni". Ich bin Friedel Wienand, ich bin euer Host und heute bei mir am Tresen Lea Weinmann. Lea ist Investigativjournalistin bei der Süddeutschen Zeitung. Von ihr werden wir anhand realer Fälle, in denen sie recherchiert hat, lernen, wie Investigativjournalismus funktioniert. Wir schauen uns zum Beispiel die Vulkan-Files an, in denen ein internationales Recherchekollektiv Desinformationskampagnen Russlands aufgedeckt hat, was weltweit Beachtung fand. Wir lernen aber auch, warum wir eigentlich alle falsch googeln und wie man es richtig macht. Und wir werden erfahren, warum Lea eine Zeit lang von aufgebrachten Käufern von Bohrmaschinen geradezu terrorisiert wurde. Viel Spaß. Lea, ich freue mich, dass du heute mit mir hier am Tresen bist, dass wir von dir was lernen dürfen heute. Du hast dir als Begleitgetränk einen Amaretto Sour gewünscht. Der kommt auch gleich. Der wird jetzt hier frisch und live zubereitet von Kilian. Und in der Zwischenzeit würde ich dir gerne die Frage stellen, die ich allen Gästen zu Beginn stelle, nämlich was können andere von dir lernen? Ja, ich freue mich hier zu sein. Finde ich tatsächlich eine sehr schwierige Frage, aber ich glaube, was man von mir zumindest ein Stück weit lernen kann, ist, die Wahrheit herauszufinden in einer Welt, in der es sehr viel Fake News und Desinformation gibt, insbesondere im Internet. Und diese Fake News eben von den Fakten zu unterscheiden und kritisch zu sein bei allem, was im Netz so vor sich geht. Für diejenigen, die uns nur zuhören, hier wird gerade der Amaretto Sour gemischt. Das dürfte man im Hintergrund hören. Lea, zu dir. Das Investigativ-Team von der SZ hat ja in der Vergangenheit schon wirklich viel Aufsehen erregt und wirklich namhafte Recherchen veröffentlicht. Panama Papers, Abgasskandal, #MeToo, Rammstein, Wirecard habe ich hier noch stehen. Und du bist jetzt als Investigativ-Journalistin Teil dieses Teams und du beschäftigst dich mit Open Source Intelligence. Wir werden da gleich noch darüber sprechen, was sich hinter dem Begriff verbirgt. Das ist super interessant und was ich besonders cool finde, du hast uns auch einfach ein paar konkrete Fälle mitgebracht, über die wir auch reden können. Das ist ja nicht immer so einfach bei Investigativjournalismus, über was können wir reden und so weiter. Und bevor wir da einsteigen und auch die Geschichten hinter den Fällen mal ein bisschen beleuchten wollen, vielleicht zu dir mal so ganz kurzer Schwenk über den Lebenslauf. Was ich über dich weiß, du warst Reporterin beim SWR und freie Journalistin bei der Stuttgarter Zeitung, hast dann bei Correctiv gearbeitet. Da kommen wir auch gleich nochmal drauf. Da gab es ja auch zuletzt durchaus aufmerksamkeitsstarkes zu berichten. Und jetzt bist du eben im Investigativ-Team der SZ. Und jetzt würde mich natürlich noch mal interessieren, wie kamst du denn jetzt grundsätzlich zum vielleicht erst mal Journalismus, aber dann auch Investigativjournalismus? Zum Journalismus bin ich irgendwann im Studium gekommen. Also ich habe tatsächlich am Anfang was gemacht, was mehr Richtung PR ging, Unternehmenskommunikation. Und dann war irgendwann ein Journalist vom Spiegel da, bei einer Uni-Vorlesung, und hat erzählt, was er so macht. Und ich fand das total toll und aufregend und habe dann ein Praktikum in der Lokalredaktion gemacht. Und seitdem war ich hoffnungslos verloren. Es war klar, dass ich in die Richtung unterwegs sein will. Das mit dem Investigativjournalismus hat dann noch ein bisschen länger gedauert. Also ich habe nach den Stationen, die du gerade genannt hast, dann mein Volontariat gemacht bei der Süddeutschen Zeitung. Das ist quasi so die redaktionelle Ausbildung, die man macht. Und habe da schon relativ viel mich mit Recherchen im Netz, mit digitalen Recherchen beschäftigt, viel mit Datenjournalismus auch. Und dadurch kam dann so ein bisschen eins zum anderen. Und da ich schon immer sehr großen Spaß daran hatte, mich auch wirklich in Themen reinzubeißen und so lange zu wühlen, bis ich es wirklich verstanden habe. Und Recherchen zu machen, die wirklich auch einen Unterschied machen und ein Stück weit einen Impact haben. Dadurch bin ich dann irgendwann automatisch im Investigativjournalismus gelandet und freue mich jetzt auch sehr, dass ich in dem Team arbeiten darf. Und war das schwer, da reinzukommen in dieses Team bei der SZ? Die haben ja schon einen Ruf. Ja, das stimmt. Ich hatte ein bisschen Glück, glaube ich. Aber ja, es ist jetzt schon auch nicht so einfach. Man muss schon viel arbeiten. Aber ich hatte auch den großen Vorteil, dass ich diesen Fokus auf Online-Recherche ein Stück weit gelegt habe. Was ein Bereich ist, also wir reden ja später noch drüber, Open Source Intelligence, das machen noch nicht so viele Journalistinnen und Journalisten in Deutschland. Und dadurch hatte ich einen gewissen Vorteil gegenüber anderen, die vielleicht mit sehr dicken Telefonbüchern stattdessen aufwarten können. Das habe ich natürlich als sehr junge Journalistin noch nicht gehabt, aber konnte dafür ein paar andere Dinge. Offensichtlich. Wie können wir uns einen typischen Tag von dir vorstellen? Gibt es den überhaupt? Den gibt es nicht so wirklich. Das kommt immer total darauf an, in was für einer Phase von Projekten und Recherchen wir gerade stecken. Also es gibt Tage, da bin ich sehr, sehr viel unterwegs, fahre durch Deutschland und treffe Leute, die was Spannendes zu erzählen haben, die uns was erzählen wollen, was anvertrauen wollen. Es gibt Phasen, da sitze ich den ganzen Tag am Küchentisch und schreibe an Geschichten. Und es gibt Phasen, da habe ich, wie es in vielen anderen Bürojobs auch ist, einfach nur sehr viele Termine, stimme mich mit anderen ab. Wir haben ja sehr oft große Recherchen, wo wir auch mit vielen Medien zusammenarbeiten. Das heißt, da gibt es immer viel Abstimmungsbedarf. Das kommt immer total darauf an, wo wir gerade stecken in der Recherche. Tauchen wir nachher noch ein. Was würdest du denn sagen, welche Eigenschaften sollte jemand mitbringen, der sich für dieses Fach Investigativjournalismus interessiert? Also der erste Punkt ist, glaube ich, Neugierde. Das gilt aber für alle Journalistinnen und Journalisten, nicht nur für die Investigativen. Was insbesondere die Investigativen brauchen, ist ein ganzes Stückchen mehr Ausdauer und Geduld, weil es sehr oft eben nicht so ist, dass man an einer Geschichte sitzt und die zwei Tage später aufschreiben und veröffentlichen kann. Sondern man muss ein bisschen Sitzfleisch mitbringen. Man muss die Ausdauer mitbringen, sich lange mit Recherchen zu beschäftigen, auch mal hinzunehmen, wenn eine Recherche nicht veröffentlicht wird. Also wir haben ganz oft Themen, zu denen wir recherchieren, auch lange recherchieren und wir können sie dann aus unterschiedlichsten Gründen trotzdem nicht veröffentlichen. Das kann deprimieren, aber das gehört zu unserem Job dazu. Deswegen brauchst du da Ausdauer und auch Ehrgeiz dran zu bleiben. Was könnte so ein Grund sein, dass was am Ende nach wahrscheinlich Wochen- oder monatelanger Arbeit nicht veröffentlicht wird? Ein Grund sind rechtliche Hürden, die man einfach nehmen muss. Und die sind halt manchmal gegeben oder halt auch nicht. Es kann auch sein, dass eine Quelle, die sich erst entschließt, mit uns zu reden, es sich irgendwann anders überlegt. Das ist zwar schade, aber das muss man natürlich akzeptieren. Es kann sein, dass wir total vielversprechend in eine Recherche reinstarten, recherchieren und dann stellt sich raus, es ist gar nichts dran. Oder es ist vielleicht nicht so schlimm, dass man da jetzt eine riesen Geschichte draus machen müsste. Also da gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Du hast jetzt schon ein bisschen was erzählt über deinen Arbeitsalltag. Erstmal cheers! Ich hoffe, der Amaretto Sour kann was. Die Zubereitung war vielversprechend. Wahrscheinlich haben die wenigsten von uns ein konkretes Bild, wie Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten arbeiten. Vielleicht können wir es mal von der Seite anschauen. Wie unterscheidet sich dein Arbeitsalltag von dem einer klassischen Journalistin oder eines Journalisten? Auch ein bisschen anknüpfend an das von vorher ist, glaube ich, der Faktor Zeit das Entscheidende. Also wenn ich jetzt ausgehe von einer – ich arbeite ja bei einer Tageszeitung, das heißt, wir bringen jeden Tag eine Zeitung raus, wo sehr viele Artikel drinstehen. Und die allermeisten meiner Kolleginnen und Kollegen schreiben deshalb sehr viel mehr und haben einen ganz anderen Zeitdruck, einen ganz anderen Rhythmus, in dem sie Geschichten veröffentlichen. Und bei uns ist es so, dass wir uns wirklich sehr lange Zeit nehmen können, um ein Thema zu durchdringen, zu bearbeiten, Dinge auch mal weglegen können und nach einem halben Jahr wieder drangehen können. Also wir gehen sehr viel mehr in die Tiefe bei den Themen und versuchen halt immer das rauszukitzeln, was bisher einfach noch nicht so bekannt ist, auf anderen Wegen. Entweder weil wir besonders kreativ werden in der Recherche oder weil wir Quellen auftun, die es bisher halt noch nicht gab. Correctiv haben wir vorher schon mal angesprochen, war eine deiner Stationen und hat jetzt ja neulich hohe Wellen geschlagen, weil sie dieses geheime Treffen von AfD-Politikern, Nazis und so weiter aufgedeckt haben. Du hast auch lange dort gearbeitet als Faktencheckerin, glaube ich. Wie kann man sich das vorstellen? War das schon im Prinzip ähnlich wie heute, dein Job, oder noch mal ganz anders? Es hatte Schnittmengen. Also ich war dort für acht, neun Monate, jetzt nicht sehr lange, aber es war so der Anfang der Pandemie 2020, also auch eine sehr spannende Zeit. Und grundsätzlich muss man bei Correctiv unterscheiden, also die Leute, die diese Recherche veröffentlicht haben, die gehören zum Investigativ-Team dort und ich war damals im Faktencheck-Team. Also die arbeiten schon zusammen, aber die haben unterschiedliche Aufträge. Und unser Auftrag war eben gerade zu Beginn der Pandemie vorzugehen, vorzugehen ist der falsche Begriff, aber versuchen der ganzen Desinformation, die da draußen in der Welt war, weil es ja viel Unsicherheit gab, Fakten entgegenzusetzen. Das heißt, mein Alltag sah so aus, dass wir das Netz durchkämmt haben, geschaut haben, was für Behauptungen kursieren und wo können wir sagen, das stimmt und wo müssen wir sagen, nee, das stimmt nicht, Masken sind nicht gefährlich und so weiter und so fort. Okay, jetzt hast du schon gesagt, das Netz zu durchforsten, also auch schon vieles, ich sag mal, online an Recherche nehme ich mal an. Dann können wir ja vielleicht mal dieses Thema Open Source Intelligence auflösen, weil das ist ja jetzt auch dein Bereich und das stelle ich mir jetzt so vor, dass man da auch viel auf Netzrecherchen ist. Aber vielleicht erzählst du es einfach, was kann man sich darunter vorstellen? Also der Begriff kommt aus der Welt der Geheimdienste. Die haben den Begriff geprägt. Open Source Intelligence steht quasi für sämtliche öffentlich verfügbaren Informationen, die es im Netz insbesondere gibt. Da zählen soziale Medien dazu, Satellitenbilder, Bilder und Videos, Datenbanken, auch so was wie Schiffstracking und Flugtrackingseiten und all diese Informationen nutzt man bei diesen Recherchemethoden und setzt sie miteinander in Verbindung, um dann eben was Neues rauszufinden, um zum Beispiel über Kriegs- und Krisengebiete zu berichten, um über Personen schreiben zu können, über die was rauszufinden, was bisher eben noch nicht bekannt war. Und so setzt man sich dann eben sein Bild zusammen und recherchiert zum Beispiel zu einer Mailadresse, kommt auf ein Profil in den sozialen Medien, dahinter steckt eine Telefonnummer. Dadurch kommt man wieder auf ein Profilbild, dann hat man ein Gesicht von einer Person, mit dem man wieder weitersuchen kann. Also so ist es so ein bisschen Katz-und-Maus-Spiel und man versucht halt möglichst viel über die Person rauszufinden, die einen gerade interessiert. Ja, verstehe ich. Jetzt, wenn es überwiegend frei verfügbare Informationen aus öffentlichen Quellen sind, könnte ja jeder und jeder darauf zugreifen. Also kannst du mal beleuchten, was deine professionelle Recherche unterscheidet davon, wenn ich jetzt sage, jetzt gucke ich mal, was ich online rauskriege? Eigentlich gar nicht so viel. Also ich glaube, der große Unterschied zwischen dir und mir ist halt, dass ich vielleicht ein paar Tricks und Kniffe kenne, die du noch nicht kennst. Aber grundsätzlich kannst du das ganz genauso. Also was wir nicht machen, absolut nicht machen, ist so was wie Hacking. Wir gehen nicht an Stellen ran, wo man nicht einfach so hinkommen würde. Wir nutzen nur das, was frei verfügbar ist. Ist jetzt zum Beispiel Darknet was, wo… Da würde ich mich umschauen. Also wenn da was ist, was ich interessant finde, dann würde ich da reingucken. Das ist ja nicht verboten, aber ich würde da jetzt nichts machen oder zu irgendwas aufrufen, was nicht erlaubt ist. Und wenn du sagst Tipps und Tricks, fällt dir da spontan irgendwas ein, wo du jetzt sagst, das würde ich jetzt wahrscheinlich nicht tun, wenn ich jetzt laienmäßig da unterwegs wäre? Also das allererste, was ich Leuten versuche beizubringen, ist richtig zu googlen tatsächlich. Also die Suchmaschinen richtig zu nutzen. Die meisten Leute öffnen ja ein Google-Fenster und geben einfach ein, nach was sie suchen, die Deutsche Zeitung. Aber man kann Google sehr viel präziser sagen, wonach man sucht und dadurch sehr viel bessere Ergebnisse rausfiltern. Man kann nach gewissen Seiten filtern, nach gewissen Dateitypen. Man kann Operatoren benutzen und dadurch Google sagen, bitte schau, dass diese Worte in dieser Reihenfolge vorkommen oder zeitlich das Ganze einschränken. Dadurch hat man in sehr kurzer Zeit bessere Informationen und kommt auch an die Dinge ran, die vielleicht erst auf Seite 50 in der Google-Suche bei dir auftauchen würden und dann hast du schon längst aufgegeben. Die sind dann halt bei mir ganz oben, weil ich Google sehr viel präziser gesagt habe, wonach ich eigentlich suche. Okay, und das aber alles über das klassische Google, das uns allen zugänglich ist und einfach die Art, wie ich die Suche formuliere. Okay, spannend. Okay, nochmal so, bevor wir in die Fälle eintauchen, vielleicht ein Thema, was so drüber steht. KI ist jetzt in aller Munde logischerweise. Jetzt haben wir dieses Jahr auch noch vor allem auch US-Wahlen und wir haben jetzt alle gesehen in den letzten Monaten, was schon möglich ist an Fake und Desinformation. Beeinflusst das heute schon deine Arbeit mit Quellen? Mit Quellen würde ich sagen noch nicht so sehr. Ich weiß aber nicht, wie sich das entwickelt. Was ich schon merke, was immer relevanter wird, ist tatsächlich die Berichterstattung in der Aktualität. Also wenn wir so auf Kriegs- und Krisengebiete schauen, der Ostkonflikt zum Beispiel, da kursiert sehr viel Desinformation und da habe ich das Gefühl, dass KI nach und nach eine größere Rolle spielt, weil jetzt in dem Krieg ist es mir aufgefallen, dass ab und zu KI generierte Bilder aufgetaucht sind. Die waren noch sehr leicht, für mich zumindest, aber auch für andere glaube ich, sehr leicht als KI generiert zu erkennen. Aber die werden ja auch immer besser. Ich weiß noch nicht ganz genau, in was für eine Richtung sich das entwickelt, aber ich glaube, dass wir uns als Journalisten genauso wie als Gesellschaft damit künftig sehr viel mehr noch auseinandersetzen als heute. Definitiv. Also es wird bestimmt unser aller Berufsfeld verändern, aber eures mit Sicherheit natürlich auch ganz besonders. Okay, dann würde ich sagen, schauen wir einfach mal auf ein paar konkrete Fälle von dir und euch. Über nicht alles kann man reden, das liegt in der Natur deines Jobs. Aber es gibt ein paar Fälle, über die wir sprechen können und anhand derer wir auch mal gucken können, wie du da vorgegangen bist. Und du hast einige mitgebracht. In dem ersten, über den ich mal gerne sprechen würde, da geht es um den Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs, wo Russland auch zu Beginn versucht hat, das zu verschleiern. Und vielleicht fangen wir mal da an. Wann und auf welchem Weg hast denn du das erste Mal davon erfahren, dass da irgendwas im Gange ist? Das war tatsächlich schon einige Zeit vorher. Also ich kann mich erinnern, dass die ersten Satellitenbilder, die mir untergekommen sind, von November des Vorjahres waren. Da hat man gesehen, dass da verschneit irgendwas passiert, dass da aufgerüstet wird an der Grenze. Es wusste aber noch keiner so wirklich, was dahinter steckt. Und journalistisch eingestiegen in der Recherche bin ich, als ich auf Twitter war und auf Twitter gesehen habe, dass es dort plötzlich diese Videos gab, auf denen man auch gesehen hat, da sind irgendwie Panzer drauf und Militärfahrzeuge und keine Ahnung. Und die waren plötzlich überall, zumindest in meiner Community. Und die kamen alle von TikTok. Und dann habe ich mir angeschaut, okay, wo kommen die her, was sind das für Kanäle? Und könnte man da nicht was drüber machen? Also die Satellitenbilder, die waren teilweise dann auch schon in anderen Medien. Man hat mitbekommen, da ist was los. Aber diese Videos haben halt eben nochmal einen anderen Einblick und einen besseren Einblick geliefert in das, was da eigentlich gerade vor sich geht. Ja, wir schauen auch gleich mal ganz konkret auf so ein Video. Und diejenigen, die uns zuschauen, die werden es auch sehen können. Aber bevor wir das tun, hast du dich oder vielleicht an dem Beispiel, entscheidest du für dich persönlich? Das ist ein Thema, dessen nehme ich mich jetzt mal an. Dazu fange ich an zu recherchieren. Oder passiert das irgendwie abgestimmt in der Redaktion? Mal so, mal so. In dem Fall habe ich das gesehen und habe geschaut, was sich dahinter verbirgt und habe dann meiner Redaktion gesagt, hey, das ist ein Thema, lass uns da mal reinschauen. Und dann habe ich das halt einfach gemacht. Also das können wir bei der SZ tatsächlich. Wir sind da sehr frei. Wenn wir denken, das ist ein Thema, dann gucken wir es uns halt an. Wir brauchen da kein Go von oben, zumindest nicht so, wie man sich das vielleicht vorstellt, sondern wir schauen dann halt einfach erst mal. Und genau, irgendwann geht man dann auf diverse andere Leute zu. Ich habe das Stück ja auch nicht ganz alleine gemacht, sondern da waren Leute aus dem Politikressort dabei, die das politisch noch besser einordnen konnten. Und so setzt sich dann nach und nach die Geschichte zusammen. Ja, aber im Prinzip warst du da schon deutlich, sagen wir mal, dran, deutlich, bevor jetzt so die Weltöffentlichkeit das erste Mal wahrscheinlich davon erfahren hat, nehme ich mal an, oder? Ich glaube, das war ein bisschen parallel. Also es gab zu dem Zeitpunkt durchaus schon Berichterstattung darüber, dass da was passiert. Gerade die Satellitenbilder, da gab es durchaus auch schon Artikel drüber. Aber wir haben halt noch ein paar neue Komponenten geliefert über diese Videos und noch mehr Evidenz damit geliefert. Aber ich weiß auch noch, als wir diesen Artikel veröffentlicht haben, wir haben mit ein paar Militärexperten gesprochen, dass trotzdem niemand so genau wusste, was passiert. Also es gab immer noch die Theorie, dass es vielleicht auch einfach ein Bluff ist und Putin die Truppen wieder abzieht. Aber wir haben mit ein paar Leuten gesprochen, die gesagt haben, dass was da transportiert wird und das hat man eben insbesondere auf diesen Videos gesehen, das braucht man zum Brücken bauen, das ist Zeug, das transportiert man nicht von A nach B, um irgendwie Imponiergehabe zu praktizieren, sondern da hat man was mit vor. Und ich weiß noch, dass ich so ein komisches Bauchgefühl hatte, nicht gewusst habe, was passiert, aber so ein komisches Bauchgefühl hatte, weil ich mir das nicht erklären konnte. Und dann kam es ja auch leider so. Ja, genau. Also ich kann es noch von mir persönlich sagen, ich habe es ehrlicherweise bis zu dem Morgen, als es losging, nicht für möglich gehalten. Du warst dann aber ja durch deine Recherche im Prinzip schon, wahrscheinlich früher auch, hast du befürchten müssen, dass es wirklich ernst gemeint ist. Ja, also es war trotzdem ein Schock, auch für uns in der Redaktion. Aber wir mussten halt sehr schnell umschalten. Also ich habe mitbekommen, dass es passiert und das Nächste, was war, war, dass wir ein Team zusammengestellt haben, das halt wieder versucht hat, darüber zu berichten. Und dann habe ich halt wieder neue Videos mir angeschaut und versucht zu verifizieren, damit wir halt unseren Leserinnen und Lesern zum Abend hin zumindest grob erklären können, was da jetzt gerade los ist. Ja, Stichwort Videos. Es gibt dieses eine Video, an dessen Beispiel wir es vielleicht mal ein bisschen beleuchten können, wie du vorgehst, wenn du solche Materialien auf den Tisch bekommst. Diejenigen, die uns zuschauen, können es auch sehen. Alle anderen dürfen gerne auch mal in das Video hier reinschauen vom Podcast. Da sieht man das Beispiel. Das ist jetzt ein Video, wo eben ein Bahnhof, glaube ich, zu sehen ist, ein Zug durchfährt mit, ja, also man weiß gar nicht, ob man erkennt, dass es ein Militärtransport ist, aber ja, das schon. Aber jetzt wäre ja die Frage, wenn du sowas auf den Tisch bekommst, wie gehst du vor? Wie verifizierst du das? Wie schaust du dir das an? Also es gibt verschiedene Dinge, die man machen kann. Einmal ist dieses Video ja meistens in Kontext eingebettet. Das heißt, man hat ein Profil, von dem das ausgepostet wurde. Ganz oft stehen auch Kommentare drunter. Die schaue ich mir an. Also es gibt oft schon Hinweise darauf, wo dieses Video aufgenommen sein könnte und wann in den Kommentaren oder im Umfeld. Das heißt noch nicht, dass es stimmt, aber das sind so erste Hinweise. In dem Fall war es ja offensichtlich ein Bahnhof, irgendwo in Russland vermutlich. Die Frage war, wo. Und es gab gewisse Dinge in dem Video, die einen da ein bisschen drauf schubsen können, wo es sein könnte. Man sieht einmal im Hintergrund eine Fußgängerbrücke, die über das Gleis drüberführt. Man sieht im Hintergrund eine gelb gefärbte Mauer, glaube ich. Und das sind so Indizien, an denen man sich entlanghangeln kann. Und es gab in dem Fall auch einen Hinweis, entweder zu dem Video dazugeschrieben oder in einem Kommentar, dass das in der Region so und so sein könnte. Und da habe ich dann halt angefangen zu suchen. Das heißt, ich habe das russische Pendant zu Google Maps geöffnet, Yandex heißt das, habe mich dort umgeschaut, habe die Bahnhöfe dort in der Region gescannt aus der Vogelperspektive, wie man das so kennt, bei diesen Online-Kartendiensten und habe dann diesen einen Bahnhof gesehen, wo diese Brücke, die sieht man von oben gut, drüber geführt hat. Und bei Yandex gibt es auch so Streetview-Ansichten. Die habe ich mir dann auch angeschaut und habe das eben abgeglichen mit dem, was man auf dem Video sieht und hatte dann relativ schnell durch diese gelbe Mauer den Beweis, dass es dort aufgenommen worden sein muss und wusste damit auch, in welche Richtung dieser Zug unterwegs war, also Westen. Richtung Ukraine. Richtung Grenze zumindest, ja, genau. Okay. Wie lange dauert das? Unterschiedlich. Ich glaube, in dem Fall war es relativ easy, weil es ein Bahnhof war und es gibt nicht so viele Bahnhöfe in der Region, gab es zumindest nicht so viele. Es gab noch ein anderes Beispiel, das wir in den Artikel eingebunden haben, da ging es nur um einen Bahnübergang, irgendwo in der Pampa von Russland. Da hat es wirklich lange gedauert, ein, zwei Tage, bis ich es gefunden habe. Also das war mühsam. Aber umso schöner, wenn man es dann findet. Das ist ein gutes Gefühl. Jetzt war das hier ja so, dass es dann auch wirklich den Moment gab, wo dann der Krieg begonnen hat. Bei anderen Fällen, stelle ich mir vor, ist es nicht so klar strukturiert. Die Frage ist, wann entscheidet ihr, okay, jetzt wissen wir genug, jetzt gehen wir damit raus? Das ist jedes Mal unterschiedlich. Es gibt natürlich gewisse journalistische Kriterien, anhand derer man das entscheidet. Zwei-Quellen-Prinzip, haben wir selber das Gefühl, wir haben genug recherchiert, aber es ist ganz viel Bauchgefühl am Ende. Zwei-Quellen-Prinzip, sorry. Entschuldigung. Zwei-Quellen-Prinzip bedeutet, dass man eigentlich für jede Information mindestens zwei Quellen braucht. Wenn du mal den Zug siehst, den willst du dann zweimal auf Videos sehen? Das wäre eine Möglichkeit. Man könnte zum Beispiel sagen, bei dem Zug war es tatsächlich so, dass ich noch ein anderes Video gefunden hatte. Das taucht da nicht im Artikel auf, weil das war redundant. Aber ich hatte noch ein anderes Video gefunden, was den gleichen Zug zeigt. Das haben wir an der Abfolge der Güter auf dem Zug gesehen, ein paar Kilometer weiter aufgenommen, was quasi dadurch bestätigt hat, dass es derselbe Zug war, der immer noch in die gleiche Richtung unterwegs war. Also so etwas kann so etwas sein. Oder es ist etwas aus zwei unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen worden. Oder wir haben sonstige Dinge, die dafür sprechen, dass es definitiv so passiert ist. Aber genau, also zwei Quellen heißt, man hat eigentlich immer zwei unabhängige Leute, die dieselbe Situation beschreiben. Wie lange habt ihr an dieser Recherche beispielsweise gearbeitet? Ich glaube, es war so eine knappe Woche. Und mit wie vielen Personen im Schnitt oder jetzt in dem Fall? In dem Fall waren wir zu zweit. Also ich habe mich um die Videos gekümmert und hatte einen Kollegen, der die Militärexperten gesprochen hat hauptsächlich, der noch mit einem gesprochen hat, der uns infografisch noch helfen konnte, einzuzeichnen, wo die Bataillone jeweils standen. Der hat sich mehr so um den Part gekümmert. Und dann haben wir zusammen den Text geschrieben. Und dann gibt es natürlich, das darf man auch nicht vergessen, immer noch ein sehr großes Team, das dafür sorgt, dass der Artikel hinterher auch so toll aussieht. Wir hatten jemanden, der diese Karte animiert hat. Wir hatten jemanden, der das Ganze drumherum betreut hat, der das entsprechend eingefärbt hat und hübsch gemacht hat. Also das ist immer ein sehr großes Team, auch wenn es am Ende gar nicht so viele sind, die tatsächlich recherchieren. Ja, das ist mir bei einigen investigativen Recherchen der SZ aufgefallen, dass da schon teilweise sogar so eine eigene Bilderwelt kreiert wird dafür. Warum macht ihr das? Weil es funktioniert. Es ist ein bisschen Vermarktung einfach. Durchaus, klar. Also es ist Vermarktung, es sieht gut aus, es hat Wiedererkennungswert. Gerade wenn es um Geschichten geht, die großen Recherchen, da sind ja immer mehrere Artikel auf einmal. Und es fällt Leserinnen und Lesern natürlich sehr viel leichter, den Link im Kopf hinzubekommen, wenn sie sehen, okay, gleiches Design, sieht ähnlich aus, das gehört zusammen. Andere Reportage und um das gleich zu spoilern, eine für die du den Deutsch-Französischen Journalistenpreis bekommen hast. Jetzt geht es weniger um einen längeren Zeitraum, wie jetzt gerade in dem Russland-Beispiel, sondern es geht um einen ganz konkreten Tag. Es ist der 24. Juni 2022, ein Freitag. Die Geschichte beginnt im Morgengrauen, die Sonne geht auf und zwar über der spanischen Exklave Melilla. Als die Sonne abends untergeht am Grenzzaun sind mindestens 23 Menschen tot, Migrantinnen und Migranten. Kannst du darüber erzählen, was an dem Tag geschah, bevor wir darauf schauen, wie du recherchiert hast? Also an dem Tag, da muss man vielleicht politisch kurz sagen, diese spanische Exklave Melilla grenzt an Marokko. Das heißt, wir haben hier eine EU-Außengrenze. Es gibt sehr viele Migrantinnen und Migranten, die an dieser Außengrenze Asyl beantragen wollen. Das war zu diesem Zeitpunkt, als das passiert ist, dort nicht möglich. Ich kann nicht mehr genau sagen, warum, aber es ging nicht, dass man auf normalem Weg dort an den Grenzposten gehen konnte und sagen konnte, ich würde gerne Asyl beantragen in Europa. Auf der marokkanischen Seite hatten sich in Camps auf dem Berg dort einige hundert Migrantinnen und Migranten niedergelassen. Die haben dort gelebt und haben halt darauf gewartet, irgendwann eine Chance zu haben, dort einen Asylantrag zu stellen, also in die EU einreisen zu können. Und an dem Morgen sind aus Gründen, die wir tatsächlich auch nicht klären konnten, einige hundert, also mindestens hundert Migrantinnen und Migranten auf einmal von diesem Berg runtergekommen und in Richtung dieses Grenzzauns und haben versucht, den gewaltsam zu überwinden und sind dann mit der marokkanischen Polizei zusammengestoßen rund um diesen Grenzzaun und dabei sind sehr viele Leute gestorben. Ich habe das gesehen an dem Wochenende, dass das passiert ist und ich habe vor allem auch die Bilder und Videos in den sozialen Medien gesehen, die dazu kursiert sind und habe mich gefragt, was da eigentlich genau passiert ist. Und wie bist du dann vorgegangen, um da Licht ins Dunkel zu bringen? Ich habe erstmal alles gesammelt, was ich gesehen habe. Ich war auf einem kleinen Eichhörnchenmodus und speicherte dann erstmal alles und dokumentierte es irgendwie in einer Excel-Tabelle, schreibt rein, was auf dem Video zu sehen ist, lädt es runter, damit man das alles erstmal hat. Dann habe ich mir wieder über Satellitenbilder angeschaut, wie sieht es dort an dem Grenztown eigentlich aus und kann ich geolokalisieren, so nennt man das, wenn man genau verortet, wo ein Bild oder Video aufgenommen wurde, aus welchem Winkel und aus welcher Perspektive diese Videos entstanden sind und was sie jeweils zeigen. Ich habe dann auch versucht, sie in eine chronologische Reihenfolge zu bringen, um dadurch zu rekonstruieren, was in diesen paar Stunden an diesem Morgen passiert ist und warum dort Leute gestorben sind. Okay, und dann machst du dir, stelle ich mir vor, auch so einen Übersichtsplan und fängst an einzuzeichnen, was ist wann wo, in welchem Ablauf passiert. Genau, so kann man sich das vorstellen. Also möglichst detailliert, um dann eben das auch aufschreiben zu können. Und in dem Fall war es eben so, dass man gesehen hat in den Videos, dass die Leute versucht haben, über den ersten Grenzzaun drüber zu kommen, das auch geschafft haben. Dann gab es viel Tränengas, die Polizei ging da relativ rigoros vor und dann gab es in diesem Grenzposten einen Innenhof und einen Graben, bevor es dann einen zweiten sehr hohen Zaun gab in Richtung Spanien. Und was die marokkanische Polizei in dem Fall fatalerweise gemacht hat, war auf marokkanischer Seite quasi den Rückweg zu versperren. Also die standen quasi vor dem Tor und es gab für die Leute in dem Innenhof nur noch den einen Weg Richtung Spanien, weil nach hinten konnten sie nicht mehr, weil dort die marokkanische Polizei eben mit Knüppeln stand. Und dann haben alle versucht, über diesen zweiten Grenzzaun drüber zu kommen und haben sich dabei, man kann es nicht anders sagen, gegenseitig niedergetreten und getrampelt. Und dabei sind halt sehr viele Leute offenbar erstickt. Und deswegen sind so viele Leute gestorben. Wir sehen in diesen Videos wirklich ein krasses Fehlverhalten der marokkanischen Polizei. Es gab dann auch hinterher, man sieht es dann auf Bildern und Videos, dass sie auf dem Boden liegen, nachdem sich die Situation ein bisschen aufgelöst hat. Es gab dann wohl auch sehr lange Zeit keine medizinische Versorgung für diese Leute. Es hat sehr lange gedauert, bis Rettungswagen kamen. Und dadurch gab es dann eben auch viele Tote. Und kann man das sagen, dass in dem Fall deine Recherche eigentlich erst so richtig aufgeklärt hat, was da passiert ist? Fänd ich ein bisschen übertrieben, das zu sagen. Also wir haben zumindest mehr Informationen geliefert, als vorher da war. Ich weiß noch, dass es in Deutschland eigentlich nur eine kleine dpa-Meldung gab dazu und sonst nicht viel. Und wir haben dann mit dem Stück zumindest mehr Informationen geliefert. Das wurde dann auch in Spanien nochmal untersucht, der ganze Vorfall. Das ist dann aber auch, ich glaube, es ist mittlerweile eingestellt worden, ohne dass es nennenswerte Konsequenzen gehabt hätte. Aber trotzdem bin ich der Meinung, dass es wichtig war, das zu machen. Auch wenn es jetzt nicht in konkreten Konsequenzen gemündet ist. Ja klar. Es ist ja gerade beim Thema Migration ja oft so, dass, meine Eindruck zumindest, die Themen sehr wenig Raum bekommen, verglichen damit, was da eigentlich an Schicksalen dahinter steht. Das ist ein gutes Beispiel dafür. Ich stelle mir das relativ belastend vor, diese Videos gucken zu müssen. Weil da wird man wahrscheinlich, ich weiß nicht, werden die auf TikTok oder sowas schon zensiert? Oder sieht man alles? Das kommt immer ein bisschen drauf an. In dem Fall waren sie auf Twitter hauptsächlich, wurden glaube ich nicht zensiert. Manchmal passiert das auch erst im Nachgang, weil die sozialen Medien immer erst nachkommen müssen mit Löschen. Deswegen speichere ich sehr viel sehr schnell, weil es dann oft doch mal weg sein kann. Aber klar, man ist in diesem Beruf sehr, also gerade wenn man so einen Schwerpunkt hat wie ich, mit sehr vielen Videos konfrontiert, die nicht viel schöne Dinge zeigen. Also gerade jetzt im Nahostkonflikt, da gibt es sehr viel, was nicht so schön ist anzuschauen. Sehr viel davon zeigen wir auch nicht. Also wir überlegen uns schon sehr gut, welches Video, welches Bild hat einen journalistischen Mehrwert und ist es wert, dass wir darüber berichten und die Reichweite davon damit auch erhöhen. Und wo zeigen wir einfach nur Gewalt, ohne dass dadurch irgendeine Information vermittelt wird. Das machen wir nicht. Ja, aber du musst dir ja im Prinzip alles anschauen. Ja, das stimmt. Und ist das für dich was, was du auch mal mit nach Hause nimmst im übertragenen Sinne? Total. Also es ist nicht einfach da abends zu sagen "Laptop zu, fertig", weil man ja weiß, dass das weitergeht. Aber es ist umso wichtiger, dass man das konsequent macht. Also es ist auch sehr wichtig, sich Pausen zu gönnen. Es ist sehr wichtig, sich nicht rund um die Uhr mit diesen Videos auseinanderzusetzen, weil man sagt, das nimmt einen irgendwie mit. Laptop zuklappen, mal eine Runde um den Block laufen, mit anderen drüber reden, ist auch was, was wir in der Redaktion sehr viel machen. Also wir tauschen uns halt einfach untereinander aus. Wir arbeiten ja selten an solchen Themen alleine. Und dadurch lernt man dann schon einen professionelleren Umgang damit. Und was bei mir tatsächlich dazu kommt, man lernt auch, das ein Stück weit zu abstrahieren. Also ich sehe diese Videos mit so einem professionelleren Blick, ist mir persönlich aufgefallen. Ich lasse das jetzt nicht so empathisch an mich ran, weil ich glaube, dann könnte ich den Job nicht machen. Sondern ich schaue halt eher analytisch drauf, direkt mit Blick, kann ich das verorten, kann ich das verifizieren, ist es relevant? Und dadurch kommt das emotional gar nicht mehr so nah an mich ran, wie jetzt vielleicht in einem anderen privaten Kontext das der Fall wäre. Was war jetzt für dich persönlich so die belastendste Recherche, die du hattest? Belastend fand ich eigentlich alles, was mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hatte. Das kann ich jetzt nicht eine Recherche rauspricken, sondern das ist so die Masse an Schicksalen, mit denen man da konfrontiert ist, die einfach schlimm waren. Ich muss aber auch sagen, was nochmal ganz anders belastend ist und was einem ganz anders nahe geht, sind Mitur-Recherchen, die ich durchaus auch schon gemacht habe. Da ist man halt nochmal anders mit Schicksalen konfrontiert, aber da geht es halt nicht um ein Video von einer Person, die man nicht kennt, sondern dann hat man eine Person vor sich sitzen, die traumatisiert ist und einem erzählt, was ihr Schlimmes widerfahren ist und das nimmt einen auch nochmal anders mit, das nimmt man auch mit nach Hause. Verarbeitet man aber natürlich auch wieder ganz anders als solche Videos. Diese Melilla-Recherche, um da was abzuschließen, ist preisgekrönt worden. Wurde das begründet, warum die den Preis bekommen hat? Oh, die haben das begründet. Das ist jetzt wahrscheinlich peinlich, dass ich mich an die Begründung nicht mehr erinnere, weil ich mich so gefreut habe, dass ich direkt mit meinen Freunden angestoßen habe und nicht mehr so viel von der Begründung mitbekommen habe. Es war ein Nachwuchspreis, also es ging schon auch darum, dass man sich als junge Journalistin mit dem Thema Migration beschäftigt. Das Thema Migration insgesamt war der Jury glaube ich sehr wichtig, dass es um EU-Außengrenzen geht in dem Fall. Und dann schon auch die Methodik, also dass wir Bilder und Videos, Satellitenbilder verbunden haben mit, ich habe die Recherche auch nicht alleine gemacht, damit, dass die Korrespondentin aus Spanien mit einem Augenzeugen tatsächlich auch sprechen konnte, der dort war und vieles bestätigt hat von dem, was in den Videos zu sehen war. Und dadurch ist glaube ich eine gute Geschichte entstanden. Dritter Fall, die sogenannten Vulkan Files, deutsch ausgesprochen. Wir haben Vulkanfiles gesagt, aber das ist wie du magst. Ja, okay, dann Vulkan Files. Worum geht es? Sie liefern Einblicke in Strategien des russischen Cyberkriegs und da geht es eben vor allem darum, wie eben mit Fake-Profilen Propaganda betrieben wird, glaube ich. Habe ich es richtig dargestellt? Unter anderem, ja. Oder noch was noch? Oh, da war ganz viel auf der Cyber-Waffen-Palette. Es ging auch um Fake-Profile, es ging sehr viel um Desinformation. Es ging aber auch darum, Schwachstellen in Systemen anderer Länder zum Beispiel ausfindig zu machen, also Cyber-Schwachstellen zu finden, zu monitoren und dann eventuell mutmaßlich auch auszunutzen. Kannst du sagen, wie ihr darauf aufmerksam geworden seid? Kann ich sagen, das war eine Person, die sich bei uns gemeldet hat, ein paar Tage nach Beginn des Krieges in der Ukraine. Die hat sich später dann auch beim Spiegel gemeldet und das war eine Person, die hat geschrieben, dass sie es nicht gut findet, was da gerade in der Ukraine passiert, dass sie da sehr sauer ist und dass sie deswegen entschlossen hat, Informationen mit uns zu teilen. Das war am Anfang die Nachricht, die hat mein Kollege Hannes Munzinger dann gelesen und hat darauf geantwortet. Das war eine anonyme Nachricht, wir wissen also nicht, wer diese Person ist. Und er hat dann mit dieser Person geschrieben, sich ausgetauscht und dann hat diese Person uns sehr viele Dokumente geschickt und Unterlagen aus einer Firma in Russland, in Moskau, die Firma Vulkan. Und wir haben uns diese Unterlagen dann angeschaut und darüber berichtet, weil da Spannendes drin war. Über welchen Kanal hat sich jetzt die, darfst du es sagen? Da gibt es doch ein Postfach, wo man hinschreiben kann? Ja, tatsächlich. Also wir haben ein Postfach, das nennt sich SecureDrop, das ist sowas wie ein digitaler, anonymer Briefkasten. Da kann jeder, der uns was schicken möchte, falls jemand Interesse hat, uns was zu schicken. Die Seite kann jeder aufrufen und kann dort anonym über den Tor-Browser ein Profil sich anlegen und uns Kontakt aufnehmen. Und das Schöne daran ist, dass wir selbst keine technische Möglichkeit haben, rauszufinden, von wo die Nachricht kommt. Das heißt, maximale Anonymität für die Quelle und ein extrem sicherer Kanal, um mit uns in Kontakt zu treten. Und darüber hat sich auch die Quelle gemeldet. Okay, das muss man aber auch wissen. Ja, wir promoten das. Also wir haben eine Kontaktseite, da steht das. Jetzt habe ich es auch wieder gesagt. Aber ja, wenn man aber Süddeutsche Zeitung Kontakt googelt, Google hatten wir heute auch schon, dann kommt man da ziemlich flott hin. Und ist das typischerweise der Weg, an dem ihr an neue Themen geratet oder gibt es da noch andere Wege? Es gibt sehr viele. Das ist einer der Wege. Der wird tatsächlich auch regelmäßig genutzt. Aber wir sind auch auf diversen anderen Kanälen. Wir haben natürlich alle eine Mail-Adresse. Wir haben alle eine Handynummer, 3ma. Also es gibt unterschiedliche Wege, uns zu erreichen. Manchmal werden auch Themen an uns herangetragen per Post tatsächlich immer noch oder es steht einfach jemand vor der Tür. Also Leute kommen auf ganz unterschiedlichen Wegen auf uns zu. Und die Vorstellung, dass man sich irgendwo im Dunkeln eines Parks mit irgendjemandem trifft, die ist eher aus dem fiktionalen Bereich. Das ist eher selten. Ich würde das nicht ausschließen, dass es das durchaus auch gibt, wenn jetzt jemand ganz, ganz vorsichtig sein will und irgendwie Angst hat, abgehört zu werden. Aber das ist doch eher die Ausnahme. Okay, zu den Vulkan Files nochmal zurück. So ein Teil der zugespielten Dokumente, da geht es um ein Projekt, was die Erfinder als so eine Art digitale Allzweckwaffe entworfen haben, heißt "Amezit". Kannst du was darüber erzählen, was sich dahinter verbirgt? Ja, "Amezit", das war ein sehr, sehr umfangreiches Modell-Handbuch, was wir uns da angeschaut haben. Wir haben es dann als universelle Allzweckwaffe bezeichnet. Nicht selber so genannt, aber es erschien uns halt so, weil damit wirklich, was Desinformation und Informationskontrolle angeht, alles möglich sein sollte. Es ging drum, dass man soziale Medien mit Propaganda fluten können soll. Es ging um Fake-Profile. Es ging drum, Monitoring zu betreiben. Also das war alles sehr, sehr umfangreich. Es ging auch drum, Netzwerkinfrastruktur, also Datenverkehr umzuleiten oder woanders wieder neu aufzubauen. Das war alles sehr, sehr umfangreich, sehr ambitioniert auch. Aber gehörte eben alles zu diesem Modell, diesem Projekt "Amezit". Kannst du, das klingt nach einer sehr, sehr umfangreichen Recherche, ein bisschen nochmal da auch beleuchten, wie ihr genau vorgegangen seid? Also das war eine sehr lange Recherche. Wir waren da über ein Jahr mit beschäftigt. Es war auch eine Recherche, wo ja dann international einige Partnermedien eingestiegen sind. Was man erst mal macht, wenn man so einen Berg an Dokumenten bekommt, die in dem Fall alle auf Russisch waren, man versucht, daraus schlau zu werden, was man da eigentlich hat. Wir haben versucht, die Dokumente zu übersetzen auf einem sicheren Weg. Wir haben versucht, sie zu sichten, zu sortieren, zu unterscheiden, was ist wichtig, was ist nicht wichtig, was kommt uns interessant vor, was nicht. Und dann versucht man, sich da ein bisschen reinzuarbeiten. In dem Fall haben wir dann auch Teams gebildet, die sich dann mit den unterschiedlichen Programmen und Projekten auseinandergesetzt haben. Wir hatten andere, die mit den Geheimdiensten, mit diversen Geheimdiensten in Kontakt getreten sind und die gefragt haben, was sie davon halten. Wir haben mit Cyber-Experten gesprochen und so weiter und so fort und versucht halt, möglichst viel Information zu diesen Dokumenten zusammenzutragen, ohne sie rauszugeben. Das können wir natürlich auch nicht machen, so komplett. Das stelle ich mir vor, bei Geheimdiensten, da dürfte eine große Neugier doch da sein. Da ist eine große Neugier, ja. Also in dem Fall ist das gut, weil dann wollen sie auch mit uns reden. Aber klar, man kann jetzt nicht einfach denen mal alles hinlegen, das geht natürlich nicht. Aber man kann die ja mal fragen, was sie davon halten, wenn man sowas hätte. Ja. Das war ja dann, stelle ich mir das hauptsächlich als eine Art Online-Recherche vor, weil es jetzt auch so um so ein Cyber-Thema ging. Oder erfordert das auch, sage ich mal, Einsatz in der physischen Welt? Fährt man irgendwo hin und guckt? Total, beides. Also wir haben sehr viel im Netz recherchiert. Wir haben versucht, Spuren dieser Programme auch im Netz zu finden. Also finden wir irgendwelche Belege dafür, dass sie tatsächlich angewendet wurden. Das ist alles nicht so einfach. Dann haben wir mit, wie gesagt, mit sehr vielen Leuten gesprochen, die sich mit dem Thema auskennen. Und wir haben auch versucht, Kontakt aufzunehmen zu ehemaligen Mitarbeitern, die wir dann teilweise auch ausfindig machen konnten und konfrontiert haben und dann halt mal dort geklingelt haben. Wirklich physisch vor Ort geklingelt? Ja, genau. Okay. Und mal gefragt, was haben sie bei der Firma eigentlich gemacht? Wie war die Reaktion? Verhalten. Die meisten wollten nicht unbedingt mit uns drüber reden, aber es war spannend. Okay, also es ist schon auch ein wichtiger Teil der Recherche, dass man rausgeht, nicht alles digital. Durchaus. Also das werde ich auch nicht müde zu betonen. Es ist sehr wichtig, dass man sich im Netz auskennt, aber das gute alte Telefon fällt dadurch nicht weg und man muss auch immer noch raus und Leute treffen. Es funktioniert beides zusammen. Dann entstehen gute Geschichten. Ja. Habt ihr nach der Recherche eine Vermutung, für wen Amazith entwickelt wurde? Es gab in den Dokumenten ein paar Hinweise. Es wurde einmal ein Institut genannt, das für den FSB, also den Inlandsgeheimdienst Russlands, arbeitet, dass es angegliedert ist. Experten haben uns aber gesagt, dass es auch sein könnte, dass es für den GRU, den Militärgeheimdienst in Russland, bestimmt ist. Aber es gab definitiv ein paar Verbindungen, die Richtung diverse Geheimdienste in Russland gedeutet haben. Hat sich dann durch die Offenlegung eurer Recherche irgendwas geändert? Die Firma Vulkan war bis zu dem Zeitpunkt noch nicht sanktioniert. Das hat sich geändert durch unsere Recherche. Das war eine sehr direkte Wirkung. Das war eine relativ, ja. War die Quelle, die euch ursprünglich darauf aufmerksam gemacht hat, in dem ganzen Prozess eingebunden oder war das mehr so der Impuls und dann habt ihr da selbstständig weitergemacht? Kann ich im Detail nicht so viel darüber sagen, außer dass wir gegen Ende hin zu der Quelle keinen Kontakt mehr hatten. Okay. Und ist das normal so, dass das eher so ein Ausgangspunkt ist oder gibt es auch den Fall, dass man das gemeinsam sozusagen… Das kommt total drauf an. Das ist jedes Mal anders. Okay. Ich merke schon, das Thema Quelle ist schwierig nachvollziehbar. Tut mir wirklich leid. Es ist total nachvollziehbar. Klar, das kann man verstehen. Du hast es gerade schon ein bisschen angedeutet. Diese Vulkanfalls, die habt ihr in einem internationalen Rechercheteam ausgewertet. Da war Spiegel, Washington Post, Guardian, Le Monde, glaube ich, das Kollektiv sozusagen. Wie läuft so eine internationale Zusammenarbeit ab? Das läuft auch jedes Mal ein bisschen anders ab, aber es gibt so ein paar grundsätzliche Dinge, die sich einfach etabliert haben seit den Panama Papers, zumindest bei der SZ. Wieso seitdem? War das ein Best-Practice-Beispiel? Das war das erste Mal, dass das in dem Umfang stattgefunden hat. Da könnte ich auch eine Dreiviertelstunde drüber reden. Das war tatsächlich sehr spannend, aber davor war es im Investigativjournalismus schon eher so Lonely-Wolf-Prinzip. Jeder schaut halt, dass er seine Quellen für sich behält. Und so einen großen Datensatz wie bei den Panama Papers mit so vielen Journalistinnen und Journalisten weltweit, ich glaube, es waren 500, zu teilen, das war komplettes Novum zu dem Zeitpunkt. Weil je mehr Leute, desto … Wahrscheinlich auch, dass es irgendwo was durchrutscht. Und es gab auch viele, die da skeptisch waren am Anfang, aber es hat funktioniert. Und seitdem haben sich internationale Recherchen im Investigativjournalismus auch nach und nach etabliert. Und heutzutage ist es so, dass es eigentlich die neue Normalität ist, dass man das zusammen macht. Was bedeutet, in unserem Fall gab es einen Kick-Off, einen persönlichen, wo man dann die Leute, die schon länger mit dem Thema betraut waren, ein bisschen präsentiert haben, wo wir gerade stehen, was wir spannend finden und wie wir denken, dass wir weitermachen sollten. Dann gibt es diverse Tools und Infrastrukturen, die man aufbaut, um einfach sicher miteinander kommunizieren zu können. Wir können nicht einfach Mails schreiben bei so einem Thema. Es gibt ja erhöhte Sicherheitsanforderungen, gerade wenn man zu einer Firma recherchiert, die Cyberwaffen entwickelt. Da muss man ein bisschen aufpassen, was man macht. Wie läuft es dann, wenn es nicht per Mail läuft? Wir haben Infrastrukturen aufgesetzt, die einfach doppelt und dreifach gesichert sind. Also das war nochmal ganz extra. Es ist jetzt sehr komplex, das zu erklären, aber da gibt es mittlerweile ganz gute Leute und Ideen, die das können. Dann tauscht man sich da einfach regelmäßig aus. Es gibt, wie man sich das bei einem Projekt eigentlich auch vorstellt, ein wöchentliches Meeting, wo man sagt, ich habe das gemacht, ich habe das gemacht, wir haben hier Informationen. Dann tauscht man Gesprächspartner aus, man tauscht Interviews aus miteinander und erarbeitet sich dann so nach und nach die Recherche. Irgendwann gehen dann alle in Richtung Publikation und dann schreibt jeder seinen Text. Ab dann gibt es dann getrennte redaktionelle Abläufe. Es kommen ja ganz unterschiedliche Geschichten am Ende bei raus. Die sollten natürlich inhaltlich miteinander übereinstimmen, aber es erzählt am Ende jeder eine andere Geschichte mit anderen Schwerpunkten. Und der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist aber dann abgestimmt? Der ist sehr früh abgestimmt, ja. Okay, also wir sagen dann wirklich an dem Tag um 8 Uhr gehen wir dann mit live. Und dann muss man halt gucken, was man bis dahin zusammenkriegt. Das ist dann immer sehr stressig. Ja, das glaube ich. Gab es das schon mal, dass du erstaunt darüber warst, was ein anderes Medium daraus gemacht hat? Nee, also es ist normalerweise schon so, dass man das dann auch mal liest, was die anderen so vorstellen sich, was sie publizieren wollen. Und wenn ich jetzt da erstaunt wäre oder sagen würde, das geht überhaupt nicht, dann würde ich das auch sagen und dann würde man da auch noch mal rangehen. Ja, okay. Abschließend zu den Vulkan Files. Sind diese Bots noch aktiv? Ist es noch ein Thema aktuell? Ich habe tatsächlich heute mal kurz reingeschaut bei ein paar dieser Bots, die ja Teil, also der Text, den wir darüber geschrieben haben, da waren die Teil eines Versuchs, eines Tests. So sah das für uns zumindest aus. Was ich sagen kann, ist, sie sind zumindest noch nicht gelöscht alle. Also sie sind bei Twitter immer noch online. Ich habe aber jetzt keinen gesehen, der jetzt in letzter Zeit da noch groß aktiv gewesen ist. Was ja nicht bedeuten muss, dass es nicht andere gibt, die genau das gerade machen, weil das ja wie gesagt eigentlich nur ein Test war. Ja, okay. Lea, wenn man sich deine Artikel anschaut in der SZ, dann steht da überall dein Name drüber. Und ich stelle mir vor, dass das, was du so veröffentlicht, ja nicht jeder und jedem passt. Sonst würde ich was falsch machen, ja. Ist das ein Thema, also dass da ja auch du irgendwie als Person hinterher sichtlich bist? Wirkt sich das aus auf dein Privatleben? Es wird vermehrt zu einem Thema, habe ich das Gefühl, weil der Ton im Netz insbesondere rauer wird. Also ich schaue bei Twitter jetzt X zum Beispiel nicht mehr so gerne rein, wenn da Recherchen von mir veröffentlicht werden, weil ich einfach weiß, dass da keine konstruktive Kritik kommt, sondern einfach nur Mist. Also da wirst du persönlich dann angegriffen? Ja, also nicht immer namentlich, aber da stehen dann so Sachen drunter wie "öööö, diese blöde Journalistin". Also ich will jetzt keine Schimpfworte hier nennen, aber das ist schon noch dreister und expliziter, was da so steht. Da schaue ich nicht rein. Ansonsten hat es für mich privat jetzt gerade noch keine Auswirkungen, bis auf, nee, das kann ich nicht sagen. Okay. Das war jetzt ein Cliffhanger. Das müsste man jetzt leider rausschneiden, das ist nicht gut, wenn ich das sage. Bisher hat es für mich sonst privat noch keine Auswirkungen. Ich hoffe, dass das so bleibt. Ja, okay. Wobei, ich glaube, es gibt auch einen Fall, das war jetzt eher so eine augenzwinkernde Geschichte, wo schon jemand sich das dann einfach mal zunutze gemacht hat, dass er deinen Namen kennt. Kannst du den vielleicht noch? Das stimmt, ja. Also wir hatten mal eine Recherche, da ging es um Fake-Shop-Betreiber, also Leute, die vermeintliche günstige Artikel ins Internet stellen und einen Shop betreiben und dann stellt sich raus, dass man das Geld überweist und der Artikel, den man bestellt hat, aber nie ankommt. Und wir hatten einen Blick in Chats dieser Fake-Shop-Betreiber, aus denen wir dann auch zitiert haben, wo die sich darüber austauschen und Dinge beieinander bestellen. Also der eine sagt, schieb mir mal ein paar gefälschte DHL-Nummern rüber und dann sagt der andere, okay, ich brauche eine Kontonummer oder zieh mir mal einen Fake-Shop hoch und so, man nennt das Crime-as-a-Service. Crime-as-a-Service? Ja, das ist tatsächlich ein Geschäftsmodell. Wie Software-as-a-Service? Ja, genau. Dass Leute sich gegenseitig beim Crime hilflich sind und dafür halt Geld bezahlen. Wirklich? Ja, tatsächlich. Da gibt es also ein Netzwerk von Leuten, die das beruflich machen? Ja. Ah ja. Und dann auch ein bisschen mitpralen, wie viel sie verdienen und was sie sich dann demnächst … Also das war sehr testosteron-lastig, diese Chats. Und darüber haben wir eben geschrieben und im Zentrum des Artikels stand eine Person, der hatte an einer Stelle auch seine Handynummer im Chat hinterlassen und ich habe dann ein Telegram-Profil von ihm gefunden und habe ihn halt mit den Dingen, die wir recherchiert hatten, konfrontiert. Er wollte nicht mit mir reden, aber ist dann halt irgendwann ungemütlich geworden, hat gesagt, wir sollen uns zurückhalten und nichts veröffentlichen, sonst würden wir es bereuen. Wir haben trotzdem veröffentlicht mit unserem Namen und kurz darauf habe ich dann Nachrichten bekommen, vor allem auf Twitter von Leuten, die geschrieben haben, hey, meine Bohrmaschine kommt nicht an, auf der Seite steht, ich soll mich unbedingt bei dir melden, was ist denn da los? Und ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich verstanden habe, dass der dann angefangen hat, alle Leute, die in der Autorenzeile dieses Textes standen und die ein Twitter-Profil hatten, ins Impressum seiner Fake-Shops zu packen mit der Info, wenn es irgendwie Probleme gibt bei der Lieferung, dann melde dich bitte da. Und ich war dann ein paar Tage lang über die Feiertage sehr gut damit beschäftigt, den Leuten zu erklären, dass ihre Bohrmaschine nicht mehr ankommt und sie besser mal zur Polizei gehen sollten. Echt? Da konntest du ja dann sogar noch Aufklärungsarbeit leisten. Ein bisschen, ja. Es war natürlich für die Leute trotzdem nicht so toll, weil das Geld war weg, aber ja. Okay, ja, das ist jetzt vielleicht was, worüber du wahrscheinlich auch noch schmunzeln kannst. Das war angesandt, ja. Ja, aber ich kann mir vorstellen, dass das auch nicht immer so ist, wenn du da mit klaren Namen veröffentlicht. Okay, ja. Okay. Gut, vielleicht so zum Abschluss noch, Lea. Jetzt haben wir viel auch über die persönliche Ebene gesprochen und auch über dein Vorgehen. Was denkst du oder was ist deine Meinung, welche Rolle spielt investigativer Journalismus auf einer gesellschaftlichen Ebene? Ja, eine extrem große. Also, ich meine, investigative Recherchen, du hast sie am Anfang genannt. Du hast nur die Buzzwords genannt und trotzdem hat jeder eine Vorstellung davon, was damit gemeint ist. Die treiben Debatten voran und machen Debatten vor allem überhaupt erst möglich. Und das ist, finde ich, das, was unsere Arbeit auszeichnet, dass wir eben Dinge an die Öffentlichkeit bringen, Informationen liefern über Dinge, die der Öffentlichkeit bisher noch nicht bekannt sind. Was die Öffentlichkeit dann damit macht, wie sie die Debatte führt, das ist dann none of my business. Aber wichtig ist, dass die Information da ist und jeder sich ein Bild darüber verschaffen kann, wie es auf Rammstein-Konzerten zugeht, was Russland so treibt, wie es an der Grenze zur EU abläuft. Die Debatten, die daraus folgen, führen dann andere. Das ist dann Sache der Politik unter anderem. Aber wir sind dazu da, diese Information überhaupt erst zugänglich zu machen, damit sich dann jeder ein eigenes Bild davon machen kann. Und das, finde ich, ist eine sehr wichtige Aufgabe und eine, die – das klingt immer so pathetisch – aber schon wichtiger denn je ist, wenn ich mir angucke, was in der Welt so vor sich geht. Ja, genau. Vor allem jetzt in Zeiten von Desinformation, die ja nicht weniger wird, jetzt auch mit KI haben wir angesprochen, glaube ich, wird der Job wahrscheinlich eh immer wichtiger werden. Super, Lea, danke. Das war ein total spannendes Gespräch mit dir, ein spannender Einblick hinter die Kulissen, soweit wir eben dahinter schauen konnten, des Investigativjournalismus. Und was ich jetzt ganz spannend finde, wir haben immer eine Rubrik am Ende, in der wir unsere Gäste, den oder die nächsten Gäste erraten lassen. Und zwar auf Basis eines Bildes. Ich hole das mal kurz. Oha. Ich zeige dir ein Bild unseres nächsten Gastes. Und was ich jetzt eben spannend finde, ist, als mit einer Investigativ-Journalistin dieses Spiel zu spielen. Oh je. Ich bin jetzt gespannt, ob du… Jetzt habe ich Druck. Ja, genau. No pressure. Das hier ist der junge Mann, der unser nächster Gast hier am Tresen sein wird. In der nächsten Folge "nah, neugierig & Negroni". Und ich habe natürlich Tipps für dich, weil so ganz ohne ist es vielleicht schwierig. Fangen wir mal ganz generisch an. Was er macht, bezeichnen viele als Kunst. Aha. Ja, das kann natürlich vieles sein. Kunst. Das bezeichnen viele als Kunst klingt aber schon so, als würden es nicht alle für Kunst halten. Sagen wir mal so, nicht jeder, der das macht, was er macht, macht es auf eine künstlerische Art. Aha. Okay, das kann auch sehr viel sein. Ja, und ich gebe dir noch einen Tipp, der nicht auf meinem Zettel steht. Auch du machst das, nur er macht es als Kunst. Ach, er recherchiert auch? Ne, ne. Also auch du machst jeden Tag das, was er macht, nur er in deinem Alltag. Nur er macht es auf eine künstlerische Art. Ach, ich gebe dir jetzt, weil das wird schwierig, noch einen Tipp. Guter Geschmack ist sein Metier. Guter Geschmack. Ist er Koch? Ja, du hast ihn nach zwei von drei Hinweisen, das ist der bisherige Rekord. Das hast du geliefert als investigative Journalistin. Ja, wer ist es? Das ist Jürgen Wolfsgruber, der ist Sternekoch. Und zwar nicht irgendeiner, sondern einer, der es geschafft hat, ohne Team und ohne finanzielle Mittel, ohne jegliches Startkapital, sich einen Michelin-Stern zu erkochen. Und von ihm wollen wir natürlich lernen, wie das geht, wie man in der Gastronomie sozusagen nach den Sternen greift. Und, das kann ich auch schon spoilern, wir hören unglaubliche Geschichten, was hinter den Kulissen der Spitzengastronomie so los ist. Für Kilian wird es auch spannend werden. Und ja, das wird unser nächster Gast hier bei Nahe Neugierig und Negroni. Lea, vielen Dank, mit dir war es ein super spannendes Gespräch. Hat auch mir viel Erhellung gebracht und ihr macht da was, was, glaube ich, ganz, ganz wertvoll und wichtig ist. Insofern dir ganz persönlich alles Gute, beruflich, persönlich. Und danke, dass du da warst. Und euch danke fürs Zuhören, Zuschauen und bis zum nächsten Mal bei "nah, neugierig & Negroni". [MUSIK]