#1 An der Bar mit Sprachprofiler Patrick Rottler: Wie lernen wir, was Sprache über unser Gegenüber verrät?
28.02.2024 42 min
Video zur Episode
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Zusammenfassung & Show Notes
Was verrät die Sprache über unser Gegenüber und was passiert, wenn Texte zu Tatorten werden? Darüber spreche ich mit Patrick Rottler; er ist Sprachprofiler und überführt Täter/-innen anhand ihrer Sprachmuster.
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Transkript
Menschen gestehen nie. Also auch der
Mörder, dessen Fingerabdrücke und DNA gefunden werden,
selbst der gesteht nicht. Der überlegt sich noch,
warum seine DNA an dem Tatort war.
Damals war die Firma Bahlsen gar nicht
so sonderlich happy darüber, dass sich plötzlich auch
Erpresser gemeldet haben mit diesem Brief. Eine
Person im Krümelmonster-Kostüm und eben
Geld gefordert hat. Das ist der Fall der österreichischen
Ärztin Kellermayr. Die hat
sich letztes Jahr das
Leben genommen, nachdem sie aufgrund der
Corona-Pandemie von sehr vielen aus der Corona-Leugner-Szene
und Maßnahmen-Gegner-Szene sehr stark
bedroht wurde.
Und damit willkommen zu unserem Bargespräch mit dem
Sprachprofiler Patrick Rottler. Mein
Name ist Friedl Wynants und ich bin vor allem
eines, neugierig. Deswegen treffe ich
mich in der Sundowner Bar von youknow hier in München mit
Menschen, von denen ich was lernen kann.
Patrick, wir sind an der Bar, deswegen gibt es natürlich auch ein
Getränk. Und du hast dir Negroni gewünscht. Und das gibt es
jetzt von unserem Barkeeper
Kilian.
Passend zum Namen.
Passend zum Namen des Podcasts,
genau. Danke schön. Und
ich habe gehört, es ist erst der zweite deines Lebens.
Oder dritte.
Der dritte mittlerweile. Man gewöhnt sich
dran.
Und zwar schnell.
Ein Cocktail für Kenner.
Richtig. Patrick, wir wollen immer gerne in dem
Podcast mit der Frage anfangen, was können andere von dir
lernen?
Ich glaube, von mir kann man lernen, als Sprachprofiler zwischen
den Zeilen zu lesen und auch auf die kleinen
Details zu achten.
Da werden wir uns jetzt gleich mehr mit beschäftigen, was das genau
heißt. Um dich kurz vorzustellen, du bist
Sprachprofiler am Privatinstitut für
forensische Textanalyse und du
unterstützt Personen und Unternehmen, die anonym
angegriffen, bedroht, erpresst werden,
dabei den Tätern eben auf die Spur zu kommen.
Jetzt frage ich mich, wie kann ich mir jetzt einen Tag bei dir
vorstellen? Was machst du den ganzen Tag?
Eigentlich sitze ich den ganzen Tag an meinem Laptop oder ich warte darauf,
dass Kundenanfragen kommen. Das sind
meistens, wie du gesagt hast,
Unternehmen, bei denen plötzlich ein anonymer Brief
oder eine anonyme E-Mail aufgetaucht sind. Und dann
ist meistens auch Druck im Kessel. Dann geht es um
Verleumdung, um Vorwürfe wie
Steuerthemen oder auch sexuelle
Nötigungen zum Beispiel von einer Person aus der
Führungsetage. Also alles Themen, die du als Unternehmen nicht
gebrauchen kannst. Und dann ist die Frage, woher kommt
dieser Angriff? Von meinem eigenen Personal,
also innen, oder ist es ein Außentäter? Und genau das sind
Fragestellungen, mit denen man zu uns kommt. Man geht
bewusst auch nicht zur Polizei und zur Staatsanwaltschaft, weil man
eben nicht will, dass die die Akten außer Haus
tragen, sondern man versucht auch erst im ersten
Schritt den Täter zu finden, um Klarheit für
sich und seine Entscheidungen zu bekommen.
Ja, wir werden gleich noch auf ein paar Fälle schauen, die du auch
bearbeitet hast und an
der Lösung mitgearbeitet, aber vielleicht vorher noch mal einen Schritt
zurück. Wie wird man denn Sprachprofiler oder wie
bist du es geworden?
Ich habe Kommunikationswissenschaften studiert, ich habe dann Linguistik noch mal
studiert und ich hatte das große Glück, dass ich,
wie es so oft im Leben ist, dass ich an die richtigen Leute gekommen bin. Und ich
hatte die Chance, mit einem Ermittlungsteam
zusammenzuarbeiten, aus Kriminalisten, aus
anderen Sprachprofilern und da das Handwerkszeug
wirklich learning by doing zu lernen. Und genau das auf
der Wege immer am Ende des Tages Forensisch und Linguist. werden
kann. Es gibt keine wirkliche Ausbildung. Also klar, das Studium ist
wichtig, aber ansonsten gibt es kein Ausbildungslehrgang, den man machen
kann. Das heißt, man muss an echten Fällen auch die
Chance haben zu üben und dann eben auch die Chance von
den Auftraggebern bekommen, dass man auch echte Fälle bearbeiten
darf.
Ja. Was fasziniert dich daran an deinem Beruf?
Ich war schon immer sehr, sehr sprachaffin,
sei es Deutsch, aber auch Fremdsprachen. Und
das Tolle ist, dass ich mein Hobby, meine
Leidenschaft jetzt auch zum Beruf machen konnte. Und das Ganze
mit dem Ermittlungsthema, mit diesem True Crime,
es ist eine Ermittlungsarbeit. Es hat ein bisschen was
von Verbrechensbekämpfung. Und genau das
macht es eben so spannend für mich auch.
Jetzt lesen wir alle, schreiben alle und ziehen vielleicht
auch ganz unterbewusst immer mal Rückschlüsse auf die
Person, die da vielleicht schreibt. Also ich würde zum Beispiel jetzt
sagen, ich könnte vermutlich
anhand einer E-Mail eines Kollegen oder einer
Kollegin so, vielleicht auch im engeren Kreis, wahrscheinlich schon auch
anonym sagen, wer die jetzt geschrieben hat. Das
ist natürlich jetzt Laienniveau. Was unterscheidet das
von von deiner Arbeit?
Wie du richtig beschrieben hast, wir machen das alles eigentlich im Alltag auch.
Also wir analysieren die Kommunikation unseres Gegenübers. Was will er
mir sagen? Was will er mir vielleicht nicht sagen? In welcher
Stimmung kommuniziert er gerade eben? Das machen wir, egal ob wir
jetzt mit dem aneinander Bar sitzen oder ob wir eine E-Mail von
unserem Chef bekommen. Was will er eigentlich sagen?
Und was du als Gefühl verarbeiten
kannst, das kann man eben auch runterbrechen und auf eine
wirklich fundierte Basis setzen. Und unsere
Fragestellung ist in den meisten Fällen, wer ist der
Autor hinter dem anonymen Brief? Und wir arbeiten am meisten mit
Vergleichstexten. Das heißt, wir schauen uns an,
wie geht der anonyme Autor mit Sprache
um und wie geht die Vergleichsperson mit Sprache
um. Und wenn diese beiden Sprachstile
zusammenpassen, also Sprach-, Wortwahl-,
Grammatik-, Satzbau-, auch
Gestaltungsebene, aber auch die Sprachpsychologie, wenn
das übereinstimmt, dann können wir unseren Täter identifizieren.
Ich habe schon auch aus deinem Buch gelernt, ihr seid da schon auch auf
einem Level, wo es wirklich um Nuancen geht
letztlich • Das werden wir vielleicht auch gleich an dem einen oder anderen Fall noch
sehen, über den wir sprechen. Das ist bestimmt auch ein
Unterschied. Was ich auch über dich erfahren habe, du machst das
gemeinsam mit dem ehemaligen Geheimagenten Leo Martin.
Das ist ja auch eine ganz spannende Kombination. Wie kam es
dazu und was verbindet euch?
Ja, Leo Martin als ehemaliger Geheimagent, der konnte das Ermitteln auch nie
so ganz lassen. Und so sind wir auch
zusammengekommen und haben gemeinsam auch das
Unternehmen aufgebaut. Er ist bei uns der
Fallführer, der erste Ansprechpartner für die
Antragsteller, weil es eben darum geht, dass ich als
Analyst, mir geht es wirklich nur um die Sprache.
Ich will nicht wissen, wer ist der Verdächtige und warum ist der
verdächtig, wer ist der Hauptverdächtige, wenn es mehrere gibt, sondern mir geht
es nur um die sprachliche Analyse. Und ich muss darauf mein
Urteil aufbauen. Und deswegen ist es wichtig, dass wir
das trennen. Und die ganze Geschichte,
die Verdachtsmomente, die landen bei der
Fallführung. Und ich werde davon nicht beeinflusst. Weil das ist
das Wichtigste in solchen Fällen. Man muss halt objektiv bleiben.
Und jede Person tendiert halt dazu, natürlich seine
eigenen Ansichten zu bestätigen. Und ganz oft kommen
auch Auftraggeber mit falschen
Vermutungen auf uns zu. Und wir müssen das dann korrigieren und sagen, nein,
wir haben es ja mit einem anderen Täter zu tun, als du vielleicht denkst.
Du kannst dich also voll auf die Sprache fokussieren in diesem
Duo sozusagen. Wer ist
denn üblicherweise euer Auftraggeber, wenn es darum geht,
anonyme Texte • • jetzt zu analysieren, du hast Unternehmen schon
genannt. Kommt es auch vor, dass ihr mit Polizei,
BKA, wem auch immer, zusammenarbeitet?
In seltenen Fällen arbeiten wir auch wirklich für
Ermittlungsbehörden. Das sind dann vor allem Polizei,
die in bestimmten Fällen
ermitteln, immer dann, wenn das BKA nicht einschreitet.
Also beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden gibt es eine Stelle, die machen auch
forensische Linguistik. Das sind Kolleginnen und
Kollegen, die einen Job auf Top-Niveau machen,
aber die natürlich auch mit Fällen von einer bestimmten Tragweite
auch ausgelastet sind. Und so dieser ganz einfache
Fall von einer Unternehmensverleumdung innerhalb von
Unternehmen, das interessiert natürlich das Bundeskriminalamt nicht. Und
das sind genau die Fälle, die dann bei uns landen.
Jetzt wollen wir auf Sprachprofiling im Alltag mal schauen. Du hast es vorher
schon gesagt, wir machen es alle ja auch irgendwie
unterbewusst. Wir hatten jetzt im Vorfeld mit dir per
Mail Kontakt. Wie ist das jetzt, wenn du so eine E-Mail liest, die jetzt
auch gar nichts mit einem Fall zu tun hat? Kannst du da schon
irgendwelche Rückschlüsse ziehen? Und wird es zur
Berufskrankheit, sich zu fragen, was treibt die Person an?
Das Gute ist, dass die Arbeit so kleinteilig und so
intensiv auch ist, dass ich mir in den normalen Fällen jetzt
nicht jede E-Mail natürlich anschaue und versuche zu analysieren wie
tickt gegenüber. Aber man kann es natürlich nicht ganz ausschalten
und man läuft ja auch mit offenen Augen durch die Welt und man
bewertet Werbekampagnen zum
Beispiel, sind die gut gemacht oder nicht gut gemacht? Auch das hat ja was mit Sprache
zu tun und zielgruppengerechte Ansprache.
Und da hat man natürlich einen gewissen Fokus drauf.
Aber ich kann auch gut trennen, einfach weil das keine
Zauberei ist. Das hat nichts mit mal schnell ein Profil
rauszaubern, von irgendeiner Person, zu
tun, sondern es ist wirklich eine fundierte Arbeit.
Und wenn man es mal andersrum betrachtet, schreibst du anders, seit du
diesen Job machst?
Das ist eine sehr interessante Frage, denn es gibt auch immer die
Frage, kann man eine Sprache so verstellen, dass man
auch täuschen und tarnen kann und eben von sich
ablenkt. Und es herrscht schon die Meinung, das würde
ich auch unterschreiben, dass selbst ich, der jeden Tag
eigentlich sich damit beschäftigt, nicht in der Lage
ist, einen längeren Text ernsthaft so zu
verstellen, dass man ihn nicht am Ende rückschließen kann.
Also klar, ich weiß auch, welche Fehler ich
mache, und trotzdem tendere ich dazu, diese Fehler immer wieder
zu machen. Also es gibt Wörter, da muss auch ich googeln, wie man die
schreibt, obwohl ich mich den ganzen Tag mit Sprache
beschäftige. Und immer wieder sitze ich davor und muss beim
Duden schauen, schreibe ich das jetzt gerade richtig.
Also auch mir unterlaufen Fehler. Ich bin jetzt kein wandelndes
Lexikon. Es geht auch nicht irgendwie drum, einen Deutschkurs
oder Deutschleistungskurse zu spielen, sondern Sprache
ist einfach individuell und darum geht es uns, den individuellen
Sprachstil einer Person aufzudecken.
Ja. Wie wir sprechen, verändert sich ja
auch so im Laufe des Lebens, wahrscheinlich auch abhängig von Personen
vielleicht um uns rum, die uns
beeinflussen. Gilt das
auch für die Art, wie wir schreiben? Also verändert sich das
auch mit dem Leben sozusagen?
Ja, also auch der Schreibstil ist abhängig davon, gerade von
der Medienwahl. Also schreibe ich eine SMS, eine WhatsApp-Nachricht,
schreibe ich eine förmliche E-Mail oder wird es ein
handgeschriebener Liebesbrief oder ein Testament? Das hat
natürlich einen großen Einfluss darauf, wie wir Sprache benutzen.
Aber am Ende des Tages bewegt sich das alles in einem Korridor
und wir haben immer wieder Muster, die wir unbewusst
reproduzieren. Das ist genau der spannende Aspekt. Es geht nicht
darum, um die Muster, die wir bewusst machen, sondern um die, die
unbewusst passieren, die wir auch nicht wirklich steuern können
deswegen.
Kannst du ein Beispiel nennen für so ein Muster?
Es gibt Funktionswörter, also alles, was
mit deutscher Grammatik zu tun hat, also wie bilde ich eine
Zeitform, da haben wir das Wort haben, ich
habe gesehen und
alles sind Funktionswörter, also jedes Und, jedes
Aber, jedes Ich, das sind Wörter, die
eigentlich nicht wirklich eine Bedeutung in sich tragen, sondern die nur
für Sprache, für grammatische Funktion
da sind. Und das sind genau die Wörter, die uns nicht bewusst
sind in der Anwendung. Die reine
Wortwahl ist zweitrangig, weil klar ist, wenn man eine
Geschäfts-E-Mail schreibt, dann tauchen da natürlich
Begriffe aus deiner Branche auf. Und da ist auch klar, ich kann
nicht jemanden überführen, nur weil der halt ganz oft you
know schreibt und Negroni halt toll findet,
weil das in der Bar wahrscheinlich jeder gut findet.
Ja, da würden hier viele in Frage kommen.
Und wenn ich das ausblende und mich auf die kleinen Details
konzentriere, egal ob das jetzt im Satzbau ist, ist der komplex,
ist der wenig komplex, reiht jemand gern Hauptsätze
aneinander, schreibt jemand sehr dominant, auch das
ist eine sprachpsychologische
Perspektive, oder es ist jemand, der zurückhaltend
ist. Es gibt auch anonyme Schreiber, die entschuldigen sich
dafür, dass sie anonym schreiben. Andere wiederum, die schreiben
in Großbuchstaben und ballern eine
Anschuldigung nach der anderen raus. Das sind auch unterschiedliche Charaktere,
die dahinter stecken. Ja. Okay.
Jetzt wollen wir auf ein paar Fälle schauen, an denen du beteiligt warst, an
der Lösung du auch mitgearbeitet hast. Und so mal als lockeren
Einstieg hast du uns einen Brief mitgebracht. Der sieht so
aus, wie ich mir einen klassischen Verbrecherbrief
vorstellen würde. Für diejenigen, die uns im Video
gucken, kann man das hier auch mal zeigen. Genau, also das, was man
sich ... Genau, hier in die Kamera. Das, was
man sich sozusagen vorstellt. Also sprich, aus
Zeitungsschnipseln ausgeschnitten.
Oder fangen wir
vielleicht mal damit an. Wie oft landen denn jetzt Briefe
dieses Typs auf deinem Schreibtisch?
Also gleich vorneweg, ohne dich zu enttäuschen, das
ist die absolute Ausnahme. Ich glaube, es war auch immer
die Ausnahme. Ist eher eine Erfindung des Fernsehens.
Ist natürlich sehr, sehr plakativ zu sagen übrigens
hier, wir wedeln mal im Tatort damit und wissen, es gibt
eine Erpressung. Kann man sich
auch vorstellen, warum das vielleicht gar nicht so praktisch ist.
Was ist die Idee dahinter, wenn man so einen Brief ausschneidet,
aufklebt? Es geht um Verstellung. Also man
will nicht handschriftlich schreiben. Das war halt vor
ein paar Jahrzehnten auch noch relevant, als
man nur handschriftlich schreiben konnte. Aber mit Aufkommen der
Schreibmaschine, spätestens mit Computer ist das
hinfällig. Das heißt, man hat auch gar nicht mehr die
Notwendigkeit, seine Handschrift zu verstellen in dem Umfang. Und
vor allem, das ist auch echt mit Zeit verbunden.
Das glaube ich. Und letztlich wäre aber das doch auch etwas,
wo man, wo du als Sprachprofiler trotzdem was rausziehen
könntest, weil es wird ja eher die Schrift als die Sprache
verstellt dadurch, oder?
Genau, das ist ganz gern so, dass,
wenn man sich auf was anderes fokussiert bei der Verstellung, in
dem Fall eben, dass man ja nicht so handschriftlich
schreibt, dann vergisst man natürlich, dass man ja auch noch
andere sprachliche Spuren hinterlässt. Und das ist
genau, warum auch unsere Ermittlungsmethode auch immer sehr, sehr
gut und treffsicher ist, weil sie unabhängig von dem Medium ist.
Also egal, ob es eine Schreibmaschine ist, was selten
vorkommt, in den meisten Fällen ist der
Brief am Computer erstellt, ausgedruckt. Das spielt aber
für uns keine Rolle am Ende des Tages.
Ja. Um das noch aufzulösen mit diesem Brief, der
beginnt ja mit dem Satz, ich hab den
Keks, steht hier zumindest ganz oben, oder
null Kekse ist die Überschrift und Absender ist das
Krümelmonster. Kannst kurz sagen, was sich da für eine Geschichte hinter
verbirgt?
Eine sehr, sehr bekannte Geschichte in der deutschen
Medienlandschaft gewesen, als der
vergoldete Keks bei der
Firmenzentrale der Firma
Bahlsen gestohlen wurde.
Damals war die Firma Bahlsen gar nicht
sonderlich happy darüber, dass sich plötzlich auch Erpresser gemeldet
haben mit diesem Brief. eine Person im
Krümelmonster-Kostüm und eben Geld gefordert
hat, aber nicht für sich, sondern als Spende für
einen guten Zweck. Und daran kann man schon erkennen, was
so die Motivation dahinter ist. Also wir haben es ja nicht mit einem Täter zu
tun, der eine relativ hohe kriminelle Energie
hat, sondern es war wahrscheinlich eher
ein Streich von jungen Leuten,
vielleicht von Studenten. Das ist auch relativ
intelligent gemacht. Das zeugt auch von einem sehr hohen
Spieltrieb. Allein, dass man sich diese Mühe macht, damit
auch irgendwie mit diesem Klischee zu
spielen. Und das heißt, mit so einem Täter muss man
ausgehen. Und das war am Ende des Tages, war das auch
die größte PR-Kampagne, die man sich hätte
ausdenken können. Gab auch Leute, die das
sogar der Firma Bahlsen unterstellt haben. Aber das kann man eher
ausschließen, dass die selbst dahinter stecken.
Und wer es wirklich war, das haben wir bis heute nicht so wirklich
herausgefunden. Es gab Leute, die sich dazu bekannt
haben, aber ob das so ist...
Der Keks ist wieder aufgetaucht.
Der Keks ist wieder aufgetaucht, der wurde auch freiwillig
zurückgegeben. Und die Firma Bahlsen hat dann
auch gespendet und
damit war kein Schaden
angerichtet. Es gab nur Gewinner bei der Geschichte.
Ja, das ist jetzt sicherlich nicht immer so. Das ist ja noch zum
Schmunzeln, sag ich mal, aber das wird sicherlich nicht bei den meisten Fällen bei
euch so sein. Was ich sehr spannend fand, was ich in eurem
Buch gelesen habe, ist, dass es tatsächlich
rechtskräftige Urteile gibt, die sich
allein auf Sprachanalyse als
Beweismittel stützen. Also für
mich fast wie ein Fingerabdruck letztlich.
Der Vergleich mit dem Fingerabdruck, der ist ein bisschen gefährlich, weil der
Fingerabdruck, der ist einmalig und der ist unveränderbar.
Das sind zwei Eigenschaften, die für Sprache nicht so gelten. Also wir haben ja
schon darüber gesprochen, dass gerade die
Textsorte, aber auch das Alter oder auch
die, mit wem ich mich unterhalte, das färbt oder
das beeinflusst, wie wir kommunizieren. Und deswegen
ist das eben nicht der Fingerabdruck. Aber es ist
schon möglich, so eine Kombination verschiedener
Sprachmerkmale auf verschiedenen Ebenen, sei es
Satzbau, Grammatik, Wortwahl, wenn sich das
verdichtet und wenn das
auch solide dasteht und sich
wiederfindet, dann haben wir schon sowas wie einen Individualstil
und den kann man schon auch nutzen, in besonders guten
Fällen, dass der auch alleinstehend für sich
überzeugend ist, dass man den Autor identifizieren kann.
Hängt aber bei uns immer von der Textbasis ab. Das muss man auch ganz ehrlich
sagen. Es ist keine Zauberei, was wir hier machen, sondern es ist eine
Wissenschaft und da kann von null bis hundert irgendwie
alles bei rauskommen.
Ein doch sehr viel ernsterer Fall, der ging jetzt
auch, glaube ich, dieses Jahr durch die Medien. Da
lautete die Signatur des Täters mit tödlichen
Grüßen. Was ist da genau
passiert? Kannst du uns was über den Fall erzählen?
Das ist der Fall der österreichischen Ärztin
Kellermayr. Die hat
sich letztes Jahr das
Leben genommen, nachdem sie aufgrund der
Corona-Pandemie von sehr vielen aus der Corona-Leugner-Szene
und Maßnahmen-Gegner-Szene sehr stark
bedroht wurde über einen langen Zeitraum. Und die hat irgendwann
diesen Druck auch nicht mehr ausgehalten. Die hat ganz frisch ihre
Praxis gegründet, war auch hochverschuldet, musste
dann auch als Schutz für sich, aber auch als
Schutz für ihre Mitarbeiter und für
ihre Patienten, auch
Personenschutz für die Praxis bezahlen. Und das hat
sich so hoch aufsummiert, dass der Druck so groß war, dass
sie am Ende des Tages Suizid begangen hat. Und das ist ein
besonders krasses Beispiel, weil es einmal auch zeigt, wie der Hass im
Netz auch reale Konsequenzen
hat. Und das Bittere dabei ist, dass eben der
Täter bis zum heutigen Tag nicht überführt ist.
Und unsere Chance
ist es, den Täter zu
überführen in Zukunft. Aber vor
allem auch die Ermittlungen auf einen neuen Weg zu bringen. Denn was wir
herausfinden konnten dieses Jahr als
neue Erkenntnis ist, dass es eben nicht nur die Frau Dr.
Kellermayr als Opfer gab von diesem Täter, sondern
dass es auch unterschiedliche Personen des öffentlichen
Lebens sowohl in Österreich als auch in Deutschland gibt, die vom
selben Täter mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eben
auch anonyme Drohbriefe bekommen haben oder
E-Mails.
Und wie habt ihr das herausfinden können?
Es haben sich verschiedene Leute gemeldet, die das
Szenario, das beschrieben wurde, an Äußerlichkeiten
wiedererkannt haben und auch ihre eigenen Briefe
da wieder erkannt haben und haben das Material
uns zur Verfügung gestellt. Und wir haben dann mit unserer forensischen
Linguistik eben die Sprachmuster angeschaut und kommen eben
zum Ergebnis, dass diese Briefe in vier
verschiedenen Fällen mittlerweile eben von einem und denselben Täter
stammen. Und damit geben wir natürlich auch im
Idealfall den Ermittlungsbehörden wiederum einen neuen Hinweis auf den
Weg zu sagen, okay, dieser Fall ist noch nicht zu Ende, der geht
weiter.
Ja. Und kannst du vielleicht an dem Beispiel auch noch mal
sagen, was solche Sprachmuster sind in dem Fall? Also
was hat euch da auf die Spur gebracht, dass das alles von
denselben Tätern oder selben Täter stammt?
In dem Fall war es so, dass der Täter dazu tendiert hat, sehr sehr
ausführlich und sehr präzise zu beschreiben, was er denn gerne mit seinen
Opfern anstellen würde. Das sind wirklich hardcore
Morddrohungen mit Darstellungen, was er
mit dem Opfer und auch den
Angestellten machen will. Die
waren sehr parallel, das heißt die Perspektive und •
die Vision sozusagen war eine sehr
ähnliche, aber wir haben darüber hinaus eben auch
Übereinstimmungen in der
Grammatikkonstruktion, in der Art und Weise, wie derjenige mit
Satzbau umgeht und in der Grammatik
und auch im Aufbau des Textes,
auch die Struktur. Auch das ist eine
Fragestellung. So viele Parallelen gefunden, dass wir
sagen, hier gibt es Sätze, die sind
so ähnlich von der Konstruktion her, dass das eben kein Zufall
mehr sein kann.
Was sind denn beispielsweise so Konstruktionen, von denen
du sagst, wenn die jetzt mehrmals in Sätzen
vorkommen, dann ist das schon ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass das
jetzt zum Beispiel von derselben Person geschrieben worden ist?
Es gibt so ganz spezielle Formulierungen, ganz plakativ
gesprochen, wie sowas wie bis dato.
Das kann man finden
in Mails und in Kommunikation von Menschen, aber es ist schon speziell. Das heißt,
wenn es vorkommt, und zwar in einer bestimmten Häufigkeit auch
noch, dann kann man sagen, okay, hier haben wir eine Parallele, die
schon mal interessant ist. Und wenn wir auf diesem Niveau
verschiedene Sachen finden, und wir reden da eben nicht nur von zwei, drei
Merkmalen, sondern wir reden da von Tabellen
von an die 20 Seiten, die eben solche
Gemeinsamkeiten auflisten, Und dann geht es eben
von spezieller Wortwahl. Es können auch veraltete Worte sein, wenn es
zum Beispiel ein älterer Autor ist oder wenn es ein fremdsprachiger
Autor ist. Auch falsche Konstruktionen, die benutzt werden. Gerade im
Deutschen gibt es ein paar Fallhürden mit •
richtigen Kasus anwenden oder den Satzbau richtig
machen. Und wenn man solche Fehler immer wieder findet,
dann haben wir genau solche Konstruktionen, die in der
Kombination... Jedes einzelne Merkmal ist vielleicht an sich gar
nicht so super spannend, aber die Kombination daraus, das macht es dann
schlagkräftig. Okay.
Wir wollen es auch gerne mal ausprobieren. Du hast uns
ja nochmal einen weiteren Brief mitgebracht.
Nochmal was für dich dabei.
Nochmal was dabei, genau. Das ist jetzt
einer, den kenne ich auch nicht. Und wir würden jetzt einfach mal das
Experiment machen, dass ich mal kurz
lese und auch vorlese und mal gucke, was ich jetzt aus
Laiensicht daraus schließe. Und dann würde mich natürlich dein
professioneller Blick darauf interessieren.
Also man sieht jetzt hier für diejenigen,
die uns nur zuhören, das ist ein
Brief in Schreibmaschinen-Schrift, würde ich sagen, von so ungefähr
zehn Zeilen. Oben rechts steht, heute,
2. Februar, 15 Uhr,
Ausrufezeichen. Und der Brief geht
dann, hallo, Herr Först, haben wir
Amelie und geht es ihr gut
Ausrufezeichen. Wenn sie wollen, ihr
geschätztes kleines Mädchen jemals wieder lachen
sehen? Fragezeichen. Dann
zahlen 10.000 Euro innerhalb von drei
Stunden. Packen Sie Geld in Al di Tüte und
legen genau 18 Uhr in den grünen
Mülleimer, Fließstraße, Ecke
Flutstraße neben dem Elektrokasten mit
dem roten Kinoplakat. Kein
Polizei, drei Ausrufezeichen. Sonst
kein Garantie, drei Ausrufezeichen. Kommen du
alleine, Ausrufezeichen. Wir nix
Dilettanten, Ausrufezeichen. Du haben
nur eine Chance. Wenn doch,
Familia Moskau hält zusammen,
Ausrufezeichen. Das ist jetzt also ein echter
Brief, der so geschrieben wurde. Und
wenn ich mir das jetzt so anschaue, also,
es ist jetzt offensichtlich, dass es also
entweder eine nicht muttersprachliche Person
war oder jemand, der gerne für eine solche gehalten werden
möchte. Da bin ich mir noch ein bisschen unsicher.
Genau, kurz zur Fallkonstellation. Es ging um eine
versuchte Entführung die Gott sei Dank nicht stattgefunden hat.
Der Täter hinter dem Brief wollte quasi die
Amelie, das ist die Tochter, aus nicht
ganz unwohlhabendem Hause nicht wirklich entführen,
aber er wollte ein Zeitfenster abpassen, in dem sie nicht erreichbar
ist für ihre Eltern und in dem er sozusagen mit diesem
Szenario spielen kann, um schnell Geld zu erpressen. Das war
die Idee. Also es gab nie wirklich eine Entführungslage.
Und es kam auch gar nicht zu dieser
Geldübergabe, weil dieser Brief nämlich aufgetaucht ist, als die
Amelie zu Hause war. Das heißt, im ersten
Moment hat man das als Spaß abgetan und war auch irgendwie
hinfällig. Aber man kann sich vorstellen, wenn man als Eltern
dann nachts zu Hause im Bett liegt und darüber
nachdenkt, dann ist schon die Frage, wo kommt das her
und ist da doch nicht irgendwie ein Ernst dahinter.
Und so ist man auf uns
zugekommen und die Frage, die in erster Linie war,
ist es ein deutscher Muttersprachler, ja oder nein, weil
es konkret Verdächtige gab und mit der
Frage hätten wir eben einen ausschließen können oder den anderen eben
belasten können. Und das ist auch die Frage,
die du jetzt beantworten darfst.
Ja, die ich jetzt beantworten darf.
Ich überlege jetzt, an was man erkennen könnte, ob es tatsächlich
kein Muttersprachler ist. Also es wirkt, das ist jetzt
natürlich nur Bauchgefühl, aber es wirkt von der Formulierung
her für mich jetzt eher, als hätte jemand versucht,
nicht Muttersprachler zu sein. Ich kann aber gerade nicht
sagen, an welchen Dingen oder Mustern ich es festmachen
würde.
Was fällt denn generell mal auf an diesem
Brief, wenn man so die Sätze liest? Den Duktus,
woran machst du fest, dass es jetzt eher aufgesetzt
klingt? Ist da so ein
Beispielsatz?
Ja, also zum Beispiel der zweite Satz, wenn
sie wollen, ihr geschätztes kleines Mädchen jemals
wieder lachen sehen, dann wirkt
das für mich jetzt nicht, also,
geschätztes, also, es ist jetzt, es kommen Worte vor,
wo ich jetzt sagen würde, ich weiß nicht, ob ein Muttersprachler, ein
Nicht-Muttersprachler, so, sie verwenden, oder dann auch
richtig schreiben würde. Weil das Wort ist jetzt zum Beispiel richtig geschrieben,
Andere Worte, die jetzt, finde ich, einfacher sind, sind dann wiederum
falsch geschrieben. Aber das ist jetzt sehr vage.
Da hast du genau den richtigen Punkt
erwischt. Bei der Frage nach der Verstellung geht es
immer auch um
Konsistenz. Das heißt, wir haben jemanden, der
wirklich nicht Muttersprachler ist, der macht Fehler,
basierend auf seiner Herkunftssprache. Das heißt, es sind nicht irgendwelche Fehler
passiert, sondern die müssen sich logisch erklären lassen. Und
er macht auch Fehler alle auf einem Niveau. Denn jemand, der Deutsch
lernt, der lernt eben Satzbau
und Wortwahl und Grammatik
eben alles parallel auf einem Niveau. Der kann nicht
perfekte, spezielle Wörter alle richtig,
• aber keinen richtigen Satz formulieren.
Und genau solche
Ungereimtheiten sind das nach was wir Ausschau halten Und du hast auch schon was
Richtiges gefunden. Das geschätzte kleine
Mädchen hier, geschätzt. Würdest du das
Wort benutzen, wenn du jetzt eine
in deiner alltäglichen Kommunikation wahrscheinlich eher nicht. Das ist eine
Vokabel, die würden wir jetzt eher als veraltet
betrachten. Das heißt, man würde einen Autor nehmen,
der sicher nicht besonders jung ist. Und es ist
auch nicht die einfachste Vokabel. Wir haben ein Ä drin, wir
haben SCH drin, TZT. für
einen • Nicht-Muttersprachler schon eine gewisse
Hürde. Und auf dem Niveau findet
man auch andere Vokabeln. Zum Beispiel das Wort Dilettanten ist noch ganz
interessant. Wir nix Dilettanten, schreibt der
Autor. Und auch das Wort Dilettant. Also erstmal
das muss man kennen und man muss wissen, wie man's schreibt. Und ich wage zu
behaupten, dass auch ein deutscher Muttersprachler mit dem Wort erstmal so ein
bisschen brauchen könnte.
Ja, definitiv.
Das ist vielleicht eines der Wörter, die man mal beim Duden googeln würde,
bevor man das schreibt.
Und genau das ist es, dass
gleichzeitig Fehler passieren bei viel
einfacheren Vokabeln, wie zum Beispiel den Mülleimer mit
einem L geschrieben. Oder die
Polizei mit 2 L geschrieben. Auch
das ist interessant. Fehler aus der Muttersprache
herleiten. Polizei gibt es in vielen verschiedenen
Sprachen. Dieselbe Wurzel, aber nie mit
2 L. Das heißt, es ist
unrealistisch, zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass
jemand auf einmal hier 2 L reinschreibt, weil das sich nicht logisch
erklären lässt, wo das herkommen soll. Und das wäre
tatsächlich einer von den Hinweisen darauf, dass
hier was nicht stimmt, dass man vielleicht davon ausgehen muss, dass hier
ein deutscher Muttersprachler schreibt,
der nur so tut, als wäre er
eben Ausländer.
Ja. War das auch Ergebnis deiner Analyse?
Genau. Darauf läuft es hinaus. Es gibt
relativ viele Anhaltspunkte in dem Brief. Wir haben zum
Beispiel auch den Satzbau. Der ist ja
einerseits sehr, sehr knapp
formuliert. Wir nix Dilettanten.
Komm du alleine.
Genau. Und gleichzeitig haben wir einen Satz,
der besonders lang ist, und zwar genau der mittlere Satz, wenn es um die
Geldübergabe geht. Das heißt, wenn er den Ort
beschreibt, das Geld beschreibt, dann schafft er auch plötzlich eine
Kommasetzung. Das merkt man natürlich beim Vorlesen nicht,
aber wir haben einen Satz, der eine richtige Kommasetzung
hat. Und im Rest vom Text hat er kein
einziges Komma verwendet. Und das ist eine spezielle Stelle, weil
da geht es um die Botschaft, da will er verstanden werden. Und das beobachten
wir regelmäßig, dass gerade dann, wenn es wichtig wird
für den Autor, dann wird die Sprache wieder besser, weil dann kann man das Risiko
nicht eingehen, dass jemand das nicht für voll nimmt oder gar
nicht versteht, was er überhaupt meint. •
Und du hast jetzt immer schon gesagt er Ist das schon klar, dass es ein er
ist oder liest man das auch irgendwo raus?
In dem Fall war es klar, weil es nur er also nur männliche
Verdächtige gab. Das Geschlecht zu profilen
ist eine fragwürdige
Sache, weil das nicht ganz so einfach ist. Wenn, dann kann man eh nur...
wenn dann das soziale Geschlecht profilen, also die Frage
ist, ist es ein eher weiblicherer Sprachgebrauch oder ein eher männlicher, was
man mit Dominanz zum Beispiel oder mit
kurzen, unemotionalen Sätzen beispielsweise eine
dominantere Grundhaltung assoziieren
würde. Das Fehlen von Weiblichkeitsformen zum
Beispiel ist eher eine männliche Sprache, während es
eben das andere Extrem gibt, das man als eher weiblich
beschreibt. Aber die Begrifflichkeit ist ein bisschen schwierig, weil das einfach
nicht wirklich Mann oder Frau zu zuordnen einfach
schwierig ist.
Du hast jetzt sozusagen das Ergebnis hier, dass
du dazu tendierst zu sagen, dass es eigentlich schon ein
Muttersprache hier ist, der sich einfach verstellt.
Was wiederum hat das jetzt sozusagen zur Klärung des Falls
beigetragen?
In dem Fall waren eben zwei Leute verdächtig, weil nur zwei Leute
auch wissen konnten, dass die Tochter zudem in dem Zeitfenster nicht
erreichbar ist und auch sicher sein konnten, dass
ihr Erpressungsversuch vielleicht funktioniert.
Und einer davon war eben deutscher Muttersprachler und der
andere war es eben nicht. Und deswegen genau
diese Frage. Und so konnten wir natürlich sagen, okay, ihr handelt sich um einen
deutschen Muttersprachler, der versucht, sich zu
verstellen. Und es handelt sich eben nicht um
einen echten Ausländer, der
eben nicht deutsch als Muttersprache hat. Und so konnte man den
einen eher ausschließen, den anderen eher belasten. Wenn sich das
dann auch noch mit den Vermutungen deckt, die man vielleicht eh schon
hat, dann kann man daraufhin seine Entscheidungen treffen.
So war das auch in dem Fall. Der wurde einfach damit auch beendet,
dass die Familie für sich entschieden hat, wie sie halt in
Zukunft einfach agiert. Die eine Person halt auch so
ein bisschen aus ihrem Bekanntenkreis rausgestrichen hat. Da gab es
gar keine rechtlichen Konsequenzen. Aber das war einfach eine
Entscheidung. Und auch dieses Wissen, woran bin ich? Ist da wirklich
eine Gefahr dahinter? All das ist halt einfach auch wichtig, •
dass du handlungsfähig bist.
Okay. Das heißt, Amelie geht's gut, es ist nichts
passiert und du hast deinen Teil dazu beigetragen.
Richtig, genau. Amelie geht's gut.
Ist das denn, du hast gesagt, es gab jetzt zum Beispiel in dem Fall schon
zwei, ja, Verdächtige
sozusagen. Ist das denn häufig sozusagen der Fall,
dass die Opfer schon Ideen haben, wer Täterin oder
Täter sein könnte? Oder stochert ihr auch ganz im Dunkeln?
Also in den meisten Fällen ist es tatsächlich so, dass es schon Verdächtige
gibt. Das können ganz konkrete Verdächtige sein oder ein
Teil oder eine Gruppe von Verdächtigen, weil in
den Briefen ja auch Insiderwissen offenbart wird.
Und gerade im Unternehmenskontext ist es ganz oft so,
dass wenn zum Beispiel eine Unternehmensfusion ins
Haus steht und damit ein Stellenabbau verbunden ist, das ist
eine Information, die zu einem bestimmten Zeitpunkt einfach auch nicht jeder hat.
Und dann ist klar, das muss an einer bestimmten Führungsebene sein.
Man hat vielleicht auch schon den Verdacht, weil es jemanden gibt,
der querulant ist, der auch in Vergangenheit
öfter mal geschossen hat. Also da gibt es schon Hinweise dafür,
warum man jemanden mehr verdächtigt als andere. Und dann ist
das natürlich auch bei uns so der priorisierte
Verdächtige. Und wenn man nur einen Kreis
hat an Personen, die theoretisch alle in Frage kommen, dann ist
es halt der erste Schritt zum Profiling zu machen. Also
Alter, Geschlecht, Bildungsgrad,
regionale Herkunft zum Beispiel. Oder die Frage, hat er
einen nicht muttersprachlichen Background? Und wenn
ja, aus welcher Richtung? Ist es eher was
osteuropäisches oder ist es eine südeuropäische
Sprache? All das versucht man
eben so ein Bild zu kreieren, das ist nicht wirklich
scharf, aber das ist zumindest ein Hinweis und eine Richtung, in
die man gehen kann. Aber es geht immer darum, wirklich einen
konkreten Verdächtigen zu haben, mit dem man dann wirklich
Vergleichstexte auch danebenlegen kann, um diese
Sprachstile zu vergleichen.
Okay. Und wie kann man sich jetzt das Ergebnis
deiner Arbeit ganz konkret vorstellen? Also in diesem Fall ist es
dann einfach ein Dossier, sag ich mal, in dem du
das nacheinander abhandelst, oder?
Es kommt ganz auf die Aufgabenstellung oder
die Idee unserer Mandanten drauf an. Also in
den meisten Fällen machen wir wirklich ein Gutachten, das heißt ein
Dokument. Der Haupttext hat
50 Seiten, die Anlagen haben 400 Seiten. Das wird
dann vor Gericht vorgelegt und
daraufhin soll eben ein Gericht auch entscheiden können.
Wie kann ich mir das normalerweise vorstellen, wenn das
Ergebnis deiner Arbeit vorliegt? Ist das dann so, dass
diejenigen, die davon vielleicht vermeintlich überführt werden,
das akzeptieren? Ist das dann so, okay, erwischt,
ich war's?
Menschen gestehen nie.
Okay, das kann man so vorstellen.
Auch der Mörder, dessen Fingerabdrücke
und DNA gefunden werden, selbst der gesteht nicht, der überlegt
sich noch, warum seine DNA an dem Tatort
war. Also in den seltensten Fällen, ich habe auch
tatsächlich einen Fall aktuell, in dem jemand gestanden
hat, bei der ersten Konfrontation. Da hat es
aber auch eine Behörde gebraucht, die an der Tür geklingelt hat
und mal kritisch nachgefragt hat. Das
heißt, rein auf Konfrontation, gerade im
Unternehmenskontext, wenn man sagt, hier Mit Arbeiter X
Y, wir haben da ermittelt. Das ist
schwierig, einfach weil die nicht geständig sind. Es gibt auch
immer natürlich Ausreden und Möglichkeiten, um das
irgendwie zu umgehen. Das ist aber in den meisten Fällen ein bisschen
aussichtslos. Also wir haben schon Argumentationen gehört, wie das
halt, hätte ja auch ChatGPT
schreiben können. Leider in Fällen, die 2019 waren,
wo es noch kein ChatGPT gibt. Also schwache
Erklärung.
Jetzt haben wir bisher über schriftliche Kommunikation gesprochen.
Könntest du deine, sagen wir mal,
Werkzeuge auch jetzt für ein Verhör oder für eine
normale gesprochene Kommunikation nutzen?
Ich beschränke mich am besten auf das, was ich kann und was ich
mache. Und es ist einfach schwierig, weil wenn die
mir jetzt sagen, wir unterhalten uns jetzt, dann läuft mein Gehirn
nicht mit und versucht, dich irgendwie zu analysieren oder zu profilen. Das ist
auch nicht
realistisch. Und das wird auch
der Materie nicht gerecht werden. Das heißt, das funktioniert
kognitiv gar nicht so wirklich.
Und deswegen
Es ist schwierig, aber natürlich lässt sich es anwenden, wenn ich die Essenz
daraus ziehen will. Und ich weiß, ich kann auch
Persönlichkeitstypen erkennen. Dann kann ich
natürlich daraus auch mir die Frage stellen, was bringt mir das denn für mich und
für meinen beruflichen Alltag zum Beispiel. Wenn ich weiß, wie
kommuniziert ein Gegenüber und wie ist jetzt mein
Vorgesetzter oder du, wie kommunizierst
du mit mir, dann habe ich vielleicht auch einen besseren Zugang,
wenn ich dann irgendwann mal eine Idee habe, von der ich weiß,
Von der will ich dich überzeugen. Und wenn ich weiß, okay, du tickst so und
so, du brauchst auch dann die entsprechende Art von
Kommunikation. Beispielsweise eine ellenlange
E-Mail liest du gar nicht durch, das interessiert dich nicht.
Sondern du brauchst eher schon eine geile Idee,
die irgendwie cool klingt und die eine Vision
aufmacht. Dann ist das ein richtiger Weg, um das zu
machen. Und wenn ich vorher in der Analyse bin und das einordnen kann,
dann habe ich vielleicht eine Chance, meine Idee besser an den Mann zu
bringen.
Okay, also du nutzt Sprache schon auch strategisch, höre ich so
raus.
Das sollten wir alle machen. Wir machen es auch
unbewusst alle, aber ich glaube, den meisten Leuten ist eben nicht
ganz klar, wie genau man das machen
kann und dass es eben auch in der schriftlichen
Kommunikation funktioniert. Und wenn man da so ein bisschen bewusster rangeht, wenn man
eben zwischen den Zeilen liest und auch sich mal
Gedanken macht, nicht nur was schreibt er, sondern auch wie schreibt er es. Ich glaube,
dann haben wir schon so eine kleine Stellschraube, mit der man Kommunikation
auch besser machen kann.
Gibt es etwas, was man jetzt sagen kann, ... ... bei einer normalen
Geschäfts-E-Mail, ... ... was man zwischen den Zeilen lesen
kann? Also fällt dir da irgendwie ein Beispiel ein?
Gerade schriftliche Kommunikation, mit der es ich ja auch hauptberuflich zu
tun habe, ist halt super anfällig für Missverständnisse.
Also wir kennen das alle von WhatsApp-Nachrichten, dann kommt kein
Emoji dabei, dann ist er verärgert, hat
sie einen schlechten Tag.
Also Missverständnisse sind vorprogrammiert immer dann, wenn ich
in der schriftlichen Kommunikation einfach wahnsinnig viel
Interpretationsspielraum habe, weil ich mein Gegenüber nicht
sehe, weil ich nicht weiß, wie reagiert er auf mich, weil
ich auch nicht die Stimme höre, was ich vielleicht am Telefon noch habe. Das
heißt, mir fehlt
Insiderinformationen, um auch nachjustieren zu
können. Also, wenn ich jetzt dir gegenüber sitze und ich merke, okay, jetzt
runzelt er die Stirn, dann war vielleicht die Aussage nicht ganz
optimal, dann kann ich noch mal irgendwie was Neues nachschieben.
Aber in der schriftlichen Kommunikation habe ich diesen einen
Schuss und ich habe keine Ahnung, in welcher
Situation der andere das liest. Sitzt der in der U-Bahn? Sitzt der an
seinem Schreibtisch? Hat der sich gerade
von seiner Partnerin getrennt oder hat er einen tollen
Tag? Das kann ich nicht einschätzen und deswegen
kann es natürlich passieren, dass meine an sich tolle Idee
halt völlig ins Leere läuft. Und
das zu wissen und einordnen zu können und vielleicht eben
bewusst und auch zu antizipieren, dass ist
eben die Kunst auch am Ende ist, ist auch nichts, was
man schnell macht und auch nichts, was ich
automatisch kann und ist auch für mich eine Aufgabe.
Aber ich glaube, und das kann man auch in deinem Buch
nachlesen, dass natürlich der
Interpretationsspielraum in der schriftlichen Kommunikation so viel größer
ist. Wie du sagst, es gibt mehr Missverständnisse, wo man, glaube
ich, schon sagen kann, die Empfehlung ist, konflikthafte
Themen oder sowas, wenn möglich, auch persönlich zu klären.
Genau, also schriftliche Kommunikation ist toll und WhatsApp
ist toll, aber man muss immer die Frage stellen, ist es
der richtige Kanal für mein Thema aktuell? Und wenn
es um nichts Wichtiges geht, wenn man einfach nur schreiben muss, ja, passt, dann
kann ich das per WhatsApp machen. Aber wenn es um Probleme
geht, dann muss ich einen anderen Kanal wählen und dann ist auch die E-Mail
der falsche Kanal in den meisten Fällen und selbst das Telefon schwierig.
Also wenn ich die Möglichkeit habe, irgendwie persönlich zu
kommunizieren, hinzugehen ins Büro und bei denen
halt anzuklopfen, dann ist das dann auch das Mittel der
Wahl. Wenn es um nichts so viel geht, kann ich gerne auch schriftlich
kommunizieren.
Du hast vorher schon das Stichwort ChatGPT gebracht, jetzt ist das
gerade ja irgendwie in aller Munde. Wie wirkt sich das
jetzt aus deiner Sicht denn auf deine Arbeit aus? Also jetzt als
Beispiel Erpresserbrief mit ChatGPT geschrieben, da wird es dann eng mit
Sprachanalyse, ne?
Das wird spannend, wie sich das in Zukunft vor allem entwickelt. Also
ChatGPT hat zumindest am Anfang noch bei der
Nachfrage mit schreib bitte meinen Brief an XY mit bisschen
Bedrohung, hat er gesagt, nee, mache ich nicht. Es gibt natürlich
jetzt auch so ein paar Darknet-Schwestern und
Brüder von ChatGPT, die das schon machen. Und
natürlich wird es den Job verändern, da bin ich mir relativ
sicher. Aber im Zweifelsfall auch natürlich zu
meinen Gunsten, weil ich auch die Anwendung vielleicht auch irgendwann
nutzen kann, um eben bestimmte Analysen zu machen.
Aktuell hat auch ChatGPT einen erkennbaren
Sprachstil. Also das, was da rauskommt,
das klingt nicht immer wahnsinnig
natürlich oder zumindest klingt es sehr generisch.
Also irgendwie zwar langer Text,
tolle Worte, aber eben ist nicht so zielsicher. Und wenn du jetzt
jemanden erpressen willst oder jemanden bedrohen willst, dann brauchst
du schon ein bisschen mehr als nur jetzt ein paar
fiese Wörter.
Ja, das heißt, du könntest zumindest Chat GPT als
Autor vielleicht überführen.
Noch ist es so, aber wer weiß, was die Zukunft
bringt.
Stimmt. Wie ist es für dich
persönlich, wenn du jetzt abends an der Bar sitzt und jetzt nicht wie
jetzt gerade vielleicht über deinen Job sprichst, wie leicht
fällt es dir abzuschalten oder auch mal die Fälle zu vergessen oder sind das
auch Dinge, die du immer mit in den Feierabend nimmst?
Ich glaube, da kommt mir mein Persönlichkeitstyp ganz
gut gelegen, dass mich das nicht so
wahnsinnig triggert. Also ich kann es gut
abschalten. Ich habe es auch in den wenigsten Fällen wirklich mit Mord und
Totschlag zu tun, sondern wir reden dann halt von Verleumdungen,
Beleidigungen. In dem Fall Kellermayr ist das nochmal was
anderes. Aber auch da ist es auch mein
Job, so neutral ranzugehen, dass ich mich davon eben nicht
leiten lasse. Und wenn es ein Problem für dich ist, dann ist es auch nicht der
richtige Job. Aber grundsätzlich ist
am Ende des Tages muss ich Wörter und Satzzeichen vergleichen
und Listen von 300 Seiten,
wo jedes Wort aufgelistet ist, anschauen.
Da ist dann Gott sei Dank auch ein bisschen der
Bezug zum Fall weg. Das heißt,
ich nehme das nicht mit nach Hause wirklich.
Ja, zum Abschluss, was wir immer
gerne machen bei nah, neugierig und Negroni ist,
dass wir schon mal ein bisschen Neugier wecken auf die Person, die als
nächstes hier Platz nimmt, wo du jetzt gerade sitzt,
Patrick. Wir haben ihn hier, wir zeigen es auch
mal hier in die Kamera. Und für diejenigen, die
uns nur zuhören, ist einfach
jetzt ein junger Mann zu sehen. Und Patrick, du darfst
jetzt einfach mal anhand von ein, zwei Hinweisen, die ich dir
geben werde, raten, wer hier als nächstes Gast in
diesem Podcast sein wird. Und ich sage dir mal, neben dem
Foto, was du über ihn wissen
kannst, ist, er weiß, wie man Ängste
bewältigt. Und sein
Schaffen ist ein Balanceakt.
Ich würde ihn schon sehr sportlich einschätzen,
auch von der Optik her sieht man schon, aber es passt auch
zu dem, was du
sagst.
Wahrscheinlich irgendwas mit
Balanceakt könnte jetzt auch der Hochseilakrobat sein.
Die Richtung stimmt, definitiv.
Aber ich würde sagen irgendwas mit Sport und
vielleicht mit Berge und Klettern und
irgendwie so in die Richtung.
Ja, absolut. Da bist du auf einer total heißen
Spur. Der nächste, der hier nämlich Platz nehmen wird, das
ist hier, wir sehen ihn ja schon, Lukas Irmler. Er ist
nämlich professioneller Slackliner und hält
zahlreiche Guinness-Weltrekorde. Zum Beispiel die längste
Strecke hat er zurückgelegt mit Augenbinde.
Und das Ganze, und das macht es jetzt, finde ich, besonders spannend, deswegen
freue ich mich auch drauf, er hatte früher oder anfangs
Höhenangst. Und wie er das sozusagen überwunden hat
und dann dazu gekommen ist, Weltrekorde aufzustellen,
Respekt, würde ich auch sagen. Das werden wir hier demnächst erfahren,
da bin ich schon gespannt drauf. Ja, und damit
Patrick, ein ganz herzliches Danke an dich, dass du uns halt
mitgenommen hast in die Welt des Sprachprofilings,
in deine Welt. Es war ein total spannender Ausflug.
Ich habe viel gelernt. Und bedanke
mich ganz herzlich, dass du hier warst. Und sage an alle, die
uns zugeschaut haben, auch danke. Und bis zum
nächsten Mal, wenn es dann wieder heißt, nah, neugierig und
Negroni.
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